Berufsausbildung – Deutsches Erfolgsmodell kämpft um seinen Nachwuchs

Berufsausbildung – Deutsches Erfolgsmodell kämpft um seinen Nachwuchs

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Armend Kokollari

Mehr als ein Drittel aller Betriebe konnten 2021 laut DIHK nicht alle angebotenen Ausbildungsplätze besetzen. Demnach blieben 63.200 Ausbildungsstellen unbesetzt, so viele wie noch nie. Eine Lücke, die zeitversetzt den Mangel an Fach- und Arbeitskräften in Deutschland zusätzlich verschärfen wird. Neben dem demographischen Wandel, dem Trend zu höheren Schulabschlüssen und einem zunehmenden Akademisierungsgrad, ist der Bewerbermangel auch eine Folge der Corona-Pandemie. Aktuelle Studien haben zwar kürzlich gezeigt, dass immer mehr Abiturient:innen sich nach dem Schulabschluss für eine Ausbildung entscheiden, doch genügt dieser Zuwachs nicht, um dem eklatanten Azubi-Mangel entgegenzuwirken. Zwei Branchen sind besonders stark von diesen Entwicklungen betroffen. In unserem Beitrag zeigen wir euch, welche das sind und beleuchten die Ursachen, Folgen und potentielle Lösungsansätze, um mehr Nachwuchs für eine Berufsausbildung zu begeistern und ihren Ruf wieder attraktiver zu machen. 

Im vergangenen Jahr wuchs der Anteil der Firmen, die nicht alle offenen Lehrstellen besetzen konnten, auf 42 Prozent – ein Allzeithoch. Zum Vergleich: Im Jahr 2018 hatte der Anteil der Firmen noch bei 32 Prozent gelegen. Das bedeutet einen Anstieg um 10 Prozentpunkte in nur drei Jahren über alle Branchen hinweg. Das Problem ist zum einen struktureller Art: 2035 werden dem Arbeitsmarkt drei Millionen Menschen weniger zur Verfügung stehen, warnt das Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Dafür sorgen die geburtenstarken Jahrgänge in den 60er-Jahren, die bis dahin in Rente gehen werden. Hauptsächlich verantwortlich für die unbesetzten Ausbildungsplätze sei jedoch, dass es immer häufiger gar keine Bewerbungen gibt. Das galt im vergangenen Jahr für 36 Prozent der Fälle, 2018 waren es 30 Prozent. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass immer mehr junge Menschen sich dafür entscheiden, höhere Schulabschlüsse wie das Abitur oder das Fachabitur zu erlangen. Bereits 51 Prozent eines Jahrgangs schließen mittlerweile mit der allgemeinen Hochschulreife ab. Damit einher geht die Studienberechtigung, die für viele Schüler:innen besonders verlockend ist, sie an die Hochschulen bringt und dafür sorgt, dass die klassische Berufsausbildung – das Erfolgsmodell durch Zusammenspiel von Betrieb und Berufsschule – an Ansehen verliert. 

Dabei hat eine Studie kürzlich gezeigt, dass immer mehr Abiturienten sich nach dem Schulabschluss für eine Ausbildung entscheiden. In den vergangenen zehn Jahren ist der Anteil derjenigen, die mit dem Abitur eine duale oder schulische Ausbildung beginnen, von 35 Prozent im Jahr 2011 auf 47,4 Prozent im Jahr 2021 gestiegen. “Von einer mangelnden Attraktivität der Berufsausbildung für Abiturientinnen und Abiturienten kann keine Rede sein”, teilt Dieter Dohmen, Direktor des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie und Autor der Studie, mit. Vielmehr sei der Rückgang damit verbunden, dass Jugendliche mit einer geringeren Schulbildung, trotz Fachkräftemangel und zahlreicher unbesetzter Ausbildungsplätze immer schlechtere Chancen haben, eine Ausbildungsstelle zu finden. Diese Gruppe gerate “mehr und mehr ins Abseits”, mahnt Clemens Wieland, Bildungsexperte der Bertelsmann Stiftung. Zwischen 2011 und 2021 hat sich der Anteil der Jugendlichen mit Hauptschulabschluss, die eine Berufsausbildung beginnen, um ein Fünftel verringert. Die Studie des Ausbildungsmonitors der FiBS kommt deshalb zum Fazit “Nicht die Akademisierung ist das Problem des Ausbildungssystems, sondern die mangelnde Integration von Jugendlichen mit niedriger Schulbildung”. Achim Dercks, DIHK Hauptgeschäftsführer, führt die Schere zwischen Ausbildungsangeboten und nachfragenden Jugendlichen aber auch auf die Corona-bedingten Einschränkungen zurück. Denn dadurch seien Berufsorientierung, Berufsberatung und Ausbildungsplatzsuche deutlich schwerer geworden. Die Berufsberater der Arbeitsagenturen kamen nicht mehr in die Schulen, Ausbildungsmessen und Betriebspraktika mussten komplett abgesagt werden. "Das hat bei vielen Jugendlichen die Orientierungslosigkeit verstärkt", sagte Dercks.

Handwerk und Pflege im Notstand

Vor allem im Handwerk bleiben massenhaft Lehrstellen unbesetzt. “Das Handwerk bietet derzeit noch rund 30.000 Ausbildungsplätze mit besten Zukunftschancen", erklärt der Zentralverband des Deutschen Handwerks. In einer Umfrage des Handwerksverbands, gaben 27 Prozent der Handwerksbetriebe an auszubilden. Dieser Wert würde allerdings ohne den Bewerbermangel deutlich höher liegen, hieß es. Jeder zweite Handwerksbetrieb gab an, keine passenden Bewerber:innen für offene Ausbildungsplätze zu finden. Auf Seiten der Arbeitgeber wird das mit der Verschlechterung der Lese-, Schreib- und Rechenfertigkeiten von Ausbildungsanfängern in den vergangenen zehn Jahren begründet. Dem Handwerk fehlen derzeit bereits mehrere Hunderttausend Fachkräfte. Diese Lücke drohe sich in den nächsten Jahren noch einmal zu vergrößern. “Wie digital, jobsicher und vor allem sinnstiftend das Handwerk ist, davon erfahren Jugendliche in den Schulen und besonders in Gymnasien bislang nur unzureichend, weil es noch keine bundesweit flächendeckende Berufsorientierung zu den Möglichkeiten der beruflichen Aus- und Fortbildung gibt” betont der neue Handwerkspräsident Jörg Dittrich. Außerdem hat das Handwerk schon lange ein Image-Problem. Harte Arbeitszeiten, Knochenjob, schlechte Bezahlung - all das schreckt die jungen Generationen ab. Hinzu kommt: “Viele junge Menschen glauben, wenn sie zum Beispiel Bäcker werden, bleiben sie das ein Leben lang. Dieser Gedanke schreckt die heutige Jugend ab”, erklärt der Generationenforscher Rüdiger Maas. Zudem lassen sich in handwerklichen Ausbildungsberufen große Unterschiede zwischen den Geschlechtern feststellen. Frauen sind in handwerklichen Ausbildungen unterrepräsentiert. Nur jede fünfte Stelle ist demnach mit einer Auszubildenden besetzt. 

Keine Zeit, sich wirklich um Patienten kümmern zu können, provoziert einen massiven Pflegenotstand. Zugegeben, das Image-Problem in der Pflege ist bereits seit längerem bekannt. An den Auszubildenden gehen diese Zustände nicht spurlos vorbei. Einerseits haben 2021 56.399 Menschen eine Ausbildung in der Pflege begonnen. Das sind 5 Prozent mehr als 2020. Christine Vogler, Präsidentin des Deutschen Pflegerats, ist aufgrund dieser Zahlen vorsichtig optimistisch: „Alles, was 5 Prozent mehr ist, freut uns natürlich“. Um die Entwicklung der Ausbildung in der Pflege vollständig beurteilen zu können, müsse man jedoch auch berücksichtigen, wie viele Leute die Ausbildung nicht abschließen. Schaut man sich die Abbrecherquoten in der Pflege an, dann fällt durchaus auf, dass diese signifikant höher sind als in anderen Bereichen. Rund 20 bis 25 Prozent eines Jahrgangs schließen laut Vogler ihre Ausbildung nicht ab. „Ganz oft merken Auszubildende: Das ist ihnen zu komplex, die Ausbildung ist zu schwierig. Das ist ein Grund, warum abgebrochen wird. Und auch tatsächlich ist die Situation der psychischen Belastung, die ja zum Beruf gehört“, erklärt Vogler. Komplexe Gründe, die dringend Lösungen brauchen. Denn bereits jetzt ist der Personalmangel in der Pflege immens.

Die beruflichen Bedürfnisse der Generation Z verstehen 

Generell müsse es bei der Kommunikation mit der jungen Generation (Generation Z) eine andere Ansprache geben, als an frühere Generationen. "Die Generation der ‘Boomer’ war froh, überhaupt einen Job zu haben", sagt Gregor Wendler, Referent für Ausbildungsmarketing an der IHK Berlin. Die junge Generation hat ein großes Sicherheitsbedürfnis. Viele bleiben lieber weiter an der Schule, um Abitur zu machen, als sich in einem Beruf auszuprobieren. Wichtig sei es, die Generation Z durch Praxis zu mobilisieren – aber dafür müsse man sie erst mal erreichen. Hinzu kommt, dass sie etwas mitgestalten und sich mit dem Arbeitgeber identifizieren will. Auch die Anforderungen an die Kommunikation hätten sich gewandelt. Mitglieder der Generation Z wollten auf Augenhöhe einbezogen werden. Angehörige der Generation Z bevorzugen emotionale Inhalte mit kurzen Videos und Erfahrungsberichten. Arbeitgeber sollten außerdem auf der Homepage die Werte des Unternehmens nach außen tragen. Nachhaltigkeit, Diversity und Teamwork sind bedeutsam für die Generation Z. Lehrer:innen können dafür sorgen, dass die Berufsorientierung in ihren Klassen umfassender thematisiert wird. Das gelingt zum Beispiel mit verpflichtenden Berufsorientierungsprogrammen und zwar über sämtliche allgemeinbildende Schularten hinweg, um so auch mehr Abiturient:innen für eine betriebliche Ausbildung zu begeistern. Darüber hinaus kann dieses Angebot durch die Zusammenarbeit von Lehrer:innen und Berufsberater:innen der Beratungs- und Informationsstellen der Arbeitsagentur und dem Besuch von Berufsmessen erweitert werden.

Um handwerkliche Ausbildungen attraktiver zu machen, sollen auch Quereinsteiger verstärkt angesprochen werden. Es gebe bereits spezielle Beratungsangebote an Hochschulen, sagte Philipp Kaczmarek, Sprecher der Handwerkskammer Dortmund. Zu den innovativen Ansätzen zählen die stärkere Verbindung von Handwerk und Studium, mit der auf die höheren Bildungsabschlüsse reagiert werden soll. Der Generationenforscher Maas sagt diesbezüglich: “Generell müssen Betriebe mit der Zeit gehen: neue Wege gehen, vielleicht mehrere Branchen und Disziplinen vereinen. Es hat sich in den letzten Jahren zu wenig getan”. Mit der Zeit gehen ist hier das richtige Stichwort. Dazu zählt ebenfalls eine ansprechende Social Media Präsenz, zum Beispiel auf Instagram oder TikTok. Denn dort ist genau die Zielgruppe vertreten, die angesprochen werden sollte – junge Menschen, die eben auch potenzielle Azubis im Handwerk sein können. Über Social Media werden vielleicht keine direkten Bewerbungen eingehen, aber man steigert die Sichtbarkeit des Betriebs und somit eventuell auch die Anfragen. In jedem Fall macht man sich damit bekannter und hat eine größere Chance auf eine breite Reichweite. Ein weiteres Modell, um dem Fachkräftemangel zu begegnen, sind Ausbildungen in Teilzeit. “Das ist insbesondere für Rückkehrer aus der Elternzeit interessant”, sagte Kaczmarek. Noch sei die Teilzeitausbildung nicht weit verbreitet. 

Dabei gibt es vielseitige nationale und internationale Förderprogramme, mit denen die Bedürfnisse junger Menschen gefördert werden. So sei an dieser Stelle das  Programm AusbildungWeltweit des Bundesministeriums für Bildung und Forschung erwähnt. Dieses ermöglicht seit 2017 internationale Lernaufenthalte während der Berufsausbildung, zum Beispiel in Kanada oder Neuseeland. Ergänzt wird dieses Angebot durch das EU-Programm für Auszubildende Erasmus+. Auslandserfahrungen verbessern nicht nur die Karrierechancen. Die Auszubildenden werden eigenständiger, kreativer und flexibler. Sie verbessern ihre Sprachkenntnisse und lernen andere Kulturen kennen. Das sind Erfahrungen, die ihnen keiner mehr nehmen kann.

Möchtet ihr das Thema Ausbildung stärker in den Unterricht einbinden und eure Schüler:innen bei der Suche nach einem geeigneten Ausbildungsberuf unterstützen? Dann könnte das Erkundungstool Check-U von planet-beruf für euch interessant sein. Hier werden die Schüler:innen in vier verschiedenen Bereichen (Fähigkeiten, Soziale Kompetenzen, Interessen und Berufliche Kompetenzen) getestet und bekommen mit dem Testergebnis Vorschläge zu Ausbildungsberufen, die auf sie zugeschnitten sind.

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