@ichbinsophiescholl – Eine kritische Reflexion

@ichbinsophiescholl – Eine kritische Reflexion

Das umstrittene Instagram-Projekt @ichbinsophiescholl von SWR und BR (Quelle: SWR)

In unserem Artikel über Instagram-Kanäle für den Geschichtsunterricht haben wir einen groben Fehler gemacht, der nicht hätte passieren dürfen: Wir haben den Kanal @ichbinsophiescholl zu unreflektiert in unsere Top-Liste aufgenommen. Diese Entscheidung zog berechtigte Kritik auf Instagram nach sich, die wir sehr ernst nehmen. Statt den Originalartikel zu entfernen und so die Diskussion zu ersticken, möchten wir transparent mit unserem Fehler umgehen und den Kanal sowie unsere Auswahl kritisch hinterfragen. Gleichzeitig möchten wir fundierte Alternativen vorstellen, die das Leben von Sophie Scholl und die Ära des Nationalsozialismus seriös und sachlich beleuchten.

Die professionelle Aufbereitung und die renommierten Urheber des Instagram-Kanals beeinflussten unsere Auswahl, ohne dass wir tiefergehend kritische Fragen stellten. Das Projekt des Südwestrundfunks (SWR) und des Bayerischen Rundfunks (BR) sollte vor allem jüngeren Nutzer:innen einen realitätsnahen Einblick in die letzten Lebensjahre von Sophie Scholl im Kampf gegen das NS-Regime ermöglichen. Schauspieler:innen schlüpften in die Rollen von Sophie Scholl, ihrem Bruder Hans und weiteren Mitstreiter:innen der Weißen Rose, filmten entsprechende Storys und Reels und veröffentlichten Beiträge aus der Perspektive von Scholl. 

Dieses Konzept holt viele Interessierte ab, ist von pädagogischem Wert und eignet sich damit als eine kreative Umsetzung der Thematik für den Geschichtsunterricht – so dachten wir. Wir erkennen an, dass wir in diesem Fall nicht die gebührende Sorgfalt walten ließen, indem wir uns von der etablierten Seriosität und den angesehenen Urhebern des Instagram-Kanals (SWR und BR) haben leiten und blenden lassen. Dies führte dazu, dass wir die dargestellten Inhalte nicht ausreichend kritisch hinterfragten. Diese Lücke in unserer kritischen Bewertung widerspricht den hohen Ansprüchen, die wir üblicherweise an unsere Arbeit stellen. Für diesen Fehler übernehmen wir uneingeschränkt die Verantwortung! Wir sind entschlossen, aus diesem Vorfall zu lernen und sicherzustellen, dass unsere Prüfungsverfahren in Zukunft gründlicher sind, um zu garantieren, dass solche Fehler nicht wieder auftreten.

Zwischen Fiktion und Realität zugunsten der Unterhaltung

Gerade in der realitätsnahen Darstellung des Projekts steckt ein schwerwiegendes Problem: Die verschwimmende Grenze zwischen historischen Fakten und Fiktion, die während und nach Abschluss des Projekts Anlass zu viel berechtigter Kritik gegeben haben. Ein großer Kritikpunkt: Die Fiktionalisierung von historischen Ereignissen und der Person Sophie Scholl, mit dem Ergebnis, dass auf dem Kanal Ereignisse oder Reihenfolgen dargestellt wurden, die so aber nicht passiert sind. So wurde Scholl auf dem Kanal beispielsweise am 21. Dezember 2021 in einem Luftschutzkeller mit Gasmaske gezeigt, den sie laut Beitrag nach Alarm zum Schutz aufsuchen musste. Diese Storyline hat aber nichts mit den wahren Begebenheiten zu tun, wie Historiker Christian Bunnenberg im ZDF Magazin Royale erklärt: “Das erste, was wir sehen, ist Sophie Scholl in diesem Schutzraum wenige Tage vor Weihnachten 1942. An diesem Tag, als es den Luftangriff gab, war Sophie Scholl aber gar nicht in München, sondern hat auswärts einen Bekannten in einem Lazarett besucht.” Auch sei das dauerhafte Tragen der Schutzmasken nicht historisch belegt – diese “dramaturgischen Elemente” der Projektmacher:innen gab es in dieser Form gar nicht, worauf allerdings nur sehr verspätet hingewiesen wurde. Sie machten sich aber gut als Erzählung, was zu verfälschten Darstellungen und missverständlichen Eindrücken bei den Zuschauer:innen führte. Das ist besonders problematisch, wenn das Projekt den Anspruch hat, historische Ereignisse detailgetreu zu vermitteln und entsprechend für Lernzwecke genutzt wird. 

Zusätzlich wurden einschneidene und entscheidene Geschehnisse, wie beispielsweise der Holocaust, aus der Storyline ausgelassen oder nur am Rande thematisiert, obwohl sich die Verfolgung von Jüd:innen zu der Zeit, die das Instagram-Projekt abdeckt, erheblich verschärft hat. “Ein Thema wie den Holocaust können wir einfach nicht nebenbei in seiner Gänze erzählen, weil es ein wahnsinnig wichtiges, ernstes und großes Thema ist“, begründet Social-Media-Redakteurin Holle Zoz diese Entscheidung in einem Live-Talk auf Instagram. Sie hätten sich die Thematisierung nicht zugetraut. “Stattdessen lieber ‘Lücken kreativ zu füllen’, indem man historische Daten verlegt oder Ereignisse erfindet, zeigt deutlich, wo die Schieflage des Projekts ist, und wo es schlicht an Kompetenz fehlte”, lautet die Kritik von Journalistin Nora Hespers auf Übermedien. Zudem verstärke die Darstellung einer unwissenden Sophie Scholl das problematische Narrativ, dass unsere Vorfahren von den Geschehnissen nichts gewusst hätten – davor warnen Historiker:innen und kritisierten das Projekt genau wegen solcher Aussagen. Auch sei die Perspektive von Sophie Scholl auf Instagram sehr einseitig, wie die Bildungsstätte Anne Frank bemängelt: “Durch einen starken Fokus auf weißen, christlichen, deutschen Widerstand, rücken die eigentlichen Opfer der nationalsozialistischen Vernichtungs- und Eroberungspolitik zwangsläufig in den Hintergrund.”

Unkommentiert, unkritisch und kein Kontext

Dass die Grenze zwischen Realität und Fiktion nicht klar genug gekennzeichnet wurde, ist in einem Medium wie Instagram problematisch, da dieser Plattform im Vergleich zu Streaming Diensten eine hohe Glaubwürdigkeit zugesprochen wird. Zu diesem Ergebnis kam eine Studie der RWTH Aachen, die eine Befragung mit 1.250 Schüler:innen durchgeführt hat. “Ein Bedürfnis nach kritischer Reflexion mit den Inhalten der Social Media scheint bei den Jugendlichen fast nicht vorhanden”, heißt es. Als Konsequenz konnten viele der Befragten den Unterschied zwischen Fiktion und Realität nicht unterscheiden und hielten den Instagram-Kanal und die Scholl-Darstellerin Luna Wedler für die echte Sophie Scholl.

Zusammen mit fehlenden Kontexten an vielen Stellen ist das ein gravierendes Problem, dem sich die Nutzer:innen auf dem Instagram-Kanal selbst angenommen haben: In den Kommentarspalten unter den jeweiligen Beiträgen ordneten sie die Ereignisse mit zusätzlichen Informationen ein, verwiesen auf Quellen oder machten auf die nicht-historische Darstellung aufmerksam. Eine Aufgabe, die eigentlich die Produktion des Projekts hätte übernehmen müssen, stattdessen reagierten sie in den Kommentaren nur sehr spät und nach mehrmaliger Aufforderung auf die kritisierten Darstellungsweisen.

Nach Ende des Projekts wurden abschließende Live-Talks und Interviews mit den Macher:innen und Schauspieler:innen geführt, in denen sie Fragen zum Projekt und der fiktionalisierten Sophie Scholl beantworteten. Hier wurde allerdings auch nur oberflächlich auf die thematisierten Probleme eingegangen, besonders unter dem Deckmantel der Fiktion. Während sich der Redaktionsleiter vom SWR Ulrich Hermann in einem Spiegel-Interview mit der Fiktionalisierung und Emotionalisierung von Sophie Scholl einverstanden erklärte, bezeichneten die Social-Media-Redakteurinnen Ella Knigge und Holle Zoz im Live-Talk auf Instagram die offenen Hintergründe und fehlenden Kontexte als “Teil des Spiels”, die die Nutzer:innen entsprechend erfragen müssten. Bei dem Talk wurde auch klar, dass zwar mit einer Historikerin in einer beratenden Position zusammengearbeitet wurde, diese aber letzten Endes keinen Einfluss auf das Endergebnis auf Social Media hatte, das an vielen Stellen zum Vorteil des vermeintlichen Interesses der Zuschauer:innen geändert wurde: Zielgruppe des Projekts waren vor allem 18- bis 24-Jährige, bei denen man befürchtete, dass sie zu viele Quellen und Fußnoten für einen historischen Kontext zu langweilig finden könnten – der Austausch in den Kommentaren beweist aber eher das Gegenteil: Viele Nutzer:innen bedankten sich bei denjenigen, die auf “dramaturgische Elemente” hinwiesen und somit für Transparenz zwischen Fiktion und historisch belegbaren Fakten sorgten.

Erinnerungskultur geht anders

Neben dem fehlenden historischen Kontext und einem fragwürdigen Umgang mit Fakten zugunsten von Unterhaltung gab es auf dem Kanal noch ein ganz anderes Problem: Das Vermächtnis von Scholl wurde für die Zwecke anderer genutzt. Unter vielen Beiträgen berichteten Nutzer:innen von ihren deutschen Großeltern oder Bekannten und welche Schicksale sie als Soldaten oder in anderer Funktion im Nationalsozialismus ertragen mussten. Anstatt dieser Opferkultur und Wehrmachtsverherrlichung Einhalt zu gebieten, gab der Instagram-Kanal diesem noch mehr Raum: Es wurde sich bei den Nutzer:innen für ihre Offenheit bedankt sowie dafür, dass sie die Community an diesen Geschichten teilhaben lassen.

Was auch nicht zu Sophie Scholl gehört, ist die AfD. Und doch nutzte die Partei Scholls Vermächtnis für eigene Werbezwecke: Auf einem umstrittenen Plakat des Kreisverbands Nürnberg-Süd/Schwabach auf Facebook prangerte ein Zitat aus einem Flugblatt der Weißen Rose: “Nichts ist eines Kulturvolkes unwürdiger, als sich ohne Widerstand von einer verantwortungslosen und dunklen Trieben ergebenen Herrscherclique 'regieren' zu lassen,” gefolgt von der Behauptung, Sophie Scholl würde die AfD wählen. Die Rechtspopulisten wollten mit diesem Plakat provozieren und gleichzeitig Interesse wecken – mit einer Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus, die von Nazis ermordet wurde?

“Wenn Geschichte zu Fiktion und Kitsch wird, müssen wir uns nicht wundern, wenn irgendwann selbst diejenigen Sophie Scholl für sich vereinnahmen können, die eigentlich Fans ihrer Mörder sind,” schlussfolgert Jan Böhmermann im ZDF Magazin Royale. Stattdessen ist es umso wichtiger, dass es bei Geschichte um Fakten und Genauigkeit geht.

Instagram-Kanäle, die es besser machen

Vor dem Hintergrund dieser Kritik möchten wir an dieser Stelle auf eine kleine Auswahl von Instagram-Kanälen aufmerksam machen, die einen angemessenen und fundierten Umgang mit Sophie Scholl und dem Nationalsozialismus in Deutschland leisten – und gleichzeitig gut in euren Geschichtsunterricht passen.

Als einen unmittelbaren Bezug zu Sophie Scholl empfehlen wir den Kanal nichtsophiescholl, der als Reaktion auf das Projekt von SWR und BR entstanden ist, um inhaltliche Lücken zu füllen und eine genauere thematische Einordnung der zu gewährleisten. Hier wird von den Widerstandskämpfer:innen gegen das NS-Regime und ihren Biographien erzählt, über die Hintergründe und Zusatzinformationen berichtet – dieses Mal aber ohne Schauspieler:innen. Der Fokus liegt stattdessen auf der sachkundigen Wissensvermittlung in Form von ausführlichen und ansprechend gestalteten Beiträgen, die in euren Geschichtsunterricht integriert und beispielsweise in Gruppenarbeiten von euren Schüler:innen analysiert werden können.

Auch der Instagram-Kanal frauenimwiderstand beschäftigt sich mit Frauen, die Widerstand gegen den Nationalsozialismus leisteten. Diese werden jeweils in einem einzelnen Beitrag vorgestellt, zusammen mit ihrer Biographie und ihrem besonderen Einsatz. Eingebettet werden die Geschichten der Frauen in den historischen Kontext und sind mit Bildmaterial sowie weiterführenden Literaturempfehlungen ergänzt. Der Kanal wird von zwei Autorinnen (bis vor einem Jahr noch drei) betrieben, die zusätzlich eigene Kanäle haben, auf denen sie sich mit unterschiedlichen Schwerpunkten sachkundig mit Frauengeschichte beschäftigen, wie zum Beispiel Frauen in Parlamenten, Politikerinnen der Weimarer Republik und queeren Personen. Hierzu gehört auch der Podcast HerStory, in dem alle zwei Wochen Frauen und Queers vorgestellt werden, die noch viel zu unbekannt sind und nicht in Geschichtsbüchern auftauchen. Das möchte der Podcast ändern, sodass ihr mit ihm und dem Kanal eine umfangreiche Ergänzung für euren Geschichtsunterricht erhaltet, die auf den Einsatz von Frauen in der Geschichte aufmerksam macht.

In einem engen thematischen Bezug steht der Kanal black_und_mieze, der eure Klasse auf eine Tour durch das Berlin der NS-Zeit mitnimmt. Vorgestellt werden hier Fotos von unterschiedlichen Schauplätzen aus dem Berlin der Gegenwart. Begleitet werden diese Plätze, Straßen, Häuser von ihren Geschichten und den Geschichten der von Nazis verfolgten Jüd:innen und jenen Menschen, die ihnen halfen. Ergänzt werden die Beiträge ebenfalls durch umfangreiche historische Kontexte, die erklären, um was es sich auf den Fotos handelt und zu welcher Zeit sich dort was abspielte. Der gleichnamige Blog zum Widerstand und zur Verfolgung in der NS-Zeit ermöglicht zusätzlich noch intensivere Blicke auf selten beachtete Geschichten aus Berlin. Mit dem Kanal könnt ihr in eurem Geschichtsunterricht prägende Orte und Personen während der Zeit des Nationalsozialismus nachvollziehen, die ihr so vielleicht nicht in eurem Geschichtsbuch findet.

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