Unisex-Toiletten an Schulen: Was dafür und was dagegen spricht

Von
Maximilian Pfab
|
29
.
June 2022
|
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Unisex-Toiletten an Schulen: Was dafür und was dagegen spricht

Die Sägefeldschule, Grund- und Werkrealschule in Ulm, ist das jüngste Beispiel für die Einführung einer Unisex-Schultoilette, also einer Toilette, die allen Geschlechtern offen steht. Ob sich derartige Einrichtungen in den kommenden Jahren flächendeckend durchsetzen, dürfte auch durch die Erfahrungen solcher Vorreiter-Schulen bedingt sein.

Das „Hamburger Modell“ der Schultoilette

Aufgrund der steigenden Zahl an Schüler:innen baut das Land Hamburg schon seit 2021 neue mehrstöckige Schulgebäude, deren Kern aus Stahlcontainern besteht. Beinahe alle Schulen, die das Angebot des dafür beauftragten Arichtekturbüros bislang in Anspruch genommen haben, entschieden sich im Zuge dessen für die Option der Unisex-Toilette. Pissoirs wurden gänzlich abgeschafft, die Kabinen sind durch deckenhohe Kabinenwände getrennt. Dabei stehen allerlei Sonderregelungen zur Auswahl. Etwa die Möglichkeit, einzelne Kabinen nicht für alle zugänglich zu machen oder die Mädchen-/Jungs-Toiletten nur durch Unisex-Toiletten zu ergänzen, aber zu erhalten. Auch die Schüler:innen sollen bei den Entscheidungen hierzu frühzeitig eingebunden werden.

Die Toilette als Politikum

Die Diskussion über Unisex-Toiletten an Schulen findet in Zusammenhang mit der Aufweichung des binären (zweigeteilten) Geschlechtermodells in den letzten Jahre statt. Erst 2018 musste der Bundestag in Folge eine Urteils des Bundesverfassungsgerichts beschließen, im staatlichen Personenstandsregister neben „männlich“ und „weiblich“ eine dritte Option („divers“) anzubieten. Für die Einen sind das kleine Siege im Kampf gegen Unsichtbarmachung von Trans- und Interpersonen, Andere sehen darin eine konstruierte und widernatürliche „Gender-Ideologie“. Auch die Diskussion über das Ende der Geschlechtertrennung in öffentlichen Toiletten ist genauso politisch, wie die Gründe ihrer Einführung.

Tatsächlich ist die Gender-basierte Trennung von Toilettenanlagen ein Phänomen, das sich erst seit dem 19. Jahrhundert durchsetzte. Während Männer öffentliche Ämter besetzen und Lohnarbeit verrichten, wurden und werden Frauen in die Rolle der Hausfrau gedrängt, die unbezahlte Sorge- und Reproduktionsarbeit zu leisten hat. Namentlich das im Großbritannien des 19. Jahrhundert rigide viktorianische Geschlechterbild setzte die gesellschaftliche Geschlechtertrennung auch in den öffentlichen Toilettenanlagen durch. Mit weitreichenden Folgen: Noch im 21. Jahrhundert gab es in den USA vereinzelte Colleges, in denen Frauen weite Wege für den Toilettengang zurücklegen mussten, da in manchen Uni-Gebäuden nur begrenzt Räumlichkeiten für den Toilettengang vorhanden waren – diese wiederum waren ausschließlich Männern vorbehalten.

Der langsame Abschied vom binären Geschlechtersystem

Die historischen Hintergründe der Zwei-Geschlechter-Toilette deuten an, warum viele sie heute nicht mehr als zeitgemäß erachten. Schon die Einrichtung von Frauen-Toiletten im öffentlichen Raum musste erkämpft werden, genauso wie die Teilhabe von Frauen am öffentlichen Leben überhaupt. Nun soll die Aufteilung des öffentlichen Raums erneut verändert werden. Dazu gehört, die Trennung auf Grundlage einer als veraltet wahrgenommenen Geschlechter-Dichotomie auch im Bereich der Toilettenanlagen zu überwinden. Das Bedürfnis von trans- und intersexuellen Personen, nach einer Toilette für alle, verstärkt diese Entwicklung. Ihre Geschlechtsidentität ist mit einem nach binären Geschlechtervorstellungen aufgeteilten öffentlichen Raum nicht vereinbar. Teil dieses Kampfes um mehr Akzeptanz von trans- und intersexuellen Identitäten muss daher auch der Bildungsbereich sein. So wie die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Ursachen von Trans- und Intersexualität vermittelt werden sollten, ist auch darüber nachzudenken, welche praktischen Bedürfnisse Trans- und Interpersonen im Schulalltag haben, zum Beispiel im Hinblick auf den Toilettengang.

Demonstration am Transday of Visibility, Washington 2019. Weltweit streiten trans- und intersexuelle Personen für ihre Anerkennung.
Demonstration am Transday of Visibility, Washington 2019. Weltweit streiten trans- und intersexuelle Personen für ihre Anerkennung (Quelle: Ted Eytan)

Nicht nur das Ziel der Geschlechtergerechtigkeit kann als Argument für Unisex-Toiletten angeführt werden. Denn in vielen Schulgebäuden ist die Toilettensituation für Schüler:innen allgemein unbefriedigend. Lange Wartezeiten von Mädchentoiletten können vermieden werden, wenn alle vorhandenen Toilettenanlagen auch von allen genutzt werden dürfen. Der eingangs erwähnte Vorstoß aus Ulm entspringt nicht nur der geschlechterpolitischen Stoßrichtung der Verantwortungsträger:innen, er ist auch ein Versuch, begrenzte räumliche Kapazitäten effektiv zu nutzen. Der Neubau beziehungsweise die Renovierung entsprechender Räumlichkeiten bietet also Modernisierungs-Chancen auf verschiedenen Ebenen.

Wie praktikabel sind Unisex-Toiletten an Schulen?

Dennoch gibt es schlüssige Argumente gegen Unisex-Toiletten an Schulen, die nicht auf dem Beharren auf einer überkommenen Geschlechtersegregation fußen. Man muss keineswegs ein:e religiöse:r Fantiker:in oder rechtsaußen-Politiker:in sein, um Fragen nach der Praxistauglichkeit von Unisex-Toiletten in einer weiterhin vom binären Geschlechtersystem geprägten Gesellschaft aufzuwerfen. Insbesondere stellt sich die Frage, ob es überhaupt dem Interesse aller entspricht, die gleiche Toilette zu benutzen. So gab es an manchen Schulen Beschwerden über die mangelnde Sauberkeit der Unisex-Toiletten, für die männliche Schüler verantwortlich gewesen sein sollen.

Ein weiteres Argument gegen Unisex-Toiletten an Schulen ist die Funktion der Frauen-Toilette als weiblicher Schutz- und Rückzugsraum, der dann verloren ginge. Einige Mädchen könnten sich unwohl dabei fühlen, die Toiletten mit den Jungs zu teilen, auch aus Angst vor übergriffigem Verhalten. Die Versuche in Hamburg oder Ulm dürften nur der Startschuss für weitere Einrichtugnen von Unisex-Toiletten in den nächsten Jahren sein. Sie werden Aufschluss darüber geben, wie praktikabel die geschlechterübergreifenden Toiletten an deutschen Schulen sind. Dass die Zeit der Aufteilung nach zwei Geschlechtern im Begriff ist abzulaufen, liegt allerdings ohnehin nahe. Denn abseits der Unisex-Toilette bestehen schließlich weitere Möglichkeiten der Kompromissfindung, etwa die bedarfsorieniterte Einrichtung von Bereichen nur für Trans-Personen oder ausschließlich FLINTA (Frauen, Lesben, Trans-. Inter- und Agender-Personen) vorbehaltene Toiletten.

Welche Haltung habt ihr zur Einführung von Unisex-Toiletten an Schulen? Haltet ihr einen solchen Vorstoß an eurer Schule für realistisch? Hinterlasst gerne einen Kommentar mit eurer Meinung.

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