Gewalt in der Schule: Gestern wie heute eine bittere Realität

Von
Leonhard Wallkötter
|
22
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July 2023
|
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Gewalt in der Schule: Gestern wie heute eine bittere Realität

Gewalt in der Schule kann verschiedene Formen annehmen (Quelle: Canva)

Ein Drittel aller Schüler:innen in Deutschland hat Schulversagensangst. Jeder Zwanzigste hat allgemein Schulangst. Das kann verschiedene Gründe haben. Etwa die Angst vor schlechten Noten, im Unterricht blamiert zu werden oder Angst vor Mobbing. Dabei spielt auch die Angst vor Gewalt eine große Rolle. In Hinblick auf unsere Themenwoche gibt es hier einen Überblick über die Gewalt an Schulen, damals und heute. 

Prügelstrafen in der Nachkriegszeit 

Nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs musste auch die Schule in Deutschland  wieder normal weitergehen. 1946 wurde die Prügelstrafe unter Wilhelm Hoegner in Bayern abgeschafft. Aufgrund mehrerer tausend Briefe wütender Eltern wurde diese jedoch nur ein Jahr später wieder eingeführt. Gängig waren Schläge mit dem Rohrstock, dem Lineal oder der Hand auf Finger oder Hintern, alles vor der Klasse. Wenn es zur Züchtigung kommen sollte, sich aber keiner meldete, wurde oft die ganze Klasse bestraft. Hierbei mussten sich alle hinknien, um dann Schläge zu empfangen. Mildere Strafen waren das heute bekannte Nachsitzen, der Arrest oder in der Ecke zu stehen. 1949 wurden Prügelstrafen in der DDR abgeschafft, während die BRD 1957 den Lehrern noch ein generelles Gewohnheitsrecht zusprach. Endgültig abgeschafft wurde die Prügelstrafe erst 1973 bzw. 1983 in Bayern in der BRD. Dies resultierte aus der 68er Bewegung und aus Schülerprotesten. 

Gewalt war auch damals schon das letzte Mittel der Bestrafung. Lehrkräfte kommen meist durch Überforderung darauf zurück, wenn etwa die Zeit knapp ist, sie sich persönlich getriggert fühlen oder es auf Erfahrungen basiert. Mit dem Ende er Prügelstrafe verschwand Gewalt leider nicht aus der Schule, sie intensivierte sich unter den Schüler:innen.

Gewalt unter Schüler:innen

Gefühlt kommt es immer öfter auch zu Gewalt unter Schüler:innen. Laut Josef Kraus, dem ehemaligen Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, hat die Gewaltbereitschaft unter Schüler:innen enorm zugenommen. “Es werde schneller und härter gedroht und zugeschlagen. Die meisten Lehrer:innen und Schüler:innen fühlen, dass Gewalt an Schulen allgemein zunimmt, jedoch gibt es hier keine Langzeitstudien.” Wirklich beweisen lässt sich das jedoch nicht, da es zu diesem Thema keine Langzeitstudien gibt. Jedoch hat der Kriminologe Hans- Dieter Schwind nach Durchsicht zahlreicher Untersuchungen über Gewalt an deutschen Schulen einige Trends erarbeitet:

Die Anzahl von Schülern mit Schwierigkeiten in der Schule nimmt zu und ihr aggressives Verhalten führt oft zu Gewalttätigkeiten. Insbesondere Haupt- und Sonderschüler sind häufiger Täter als Schüler anderer Schulformen. Gewalttätige Handlungen gehen meist von einem kleinen Kreis aus, der zum Teil von Cliquen außerhalb der Schule beeinflusst wird. Es ist besorgniserregend, dass es heutzutage bereits bei nichtigen Anlässen zu körperlichen Misshandlungen kommen kann, und manchmal finden Angriffe völlig grundlos statt. Der durchschnittliche gewalttätige Schüler zeigt ein erhöhtes Konsumverhalten von Alkohol, besucht häufiger Diskotheken und schaut mehr gewalttätige Videos als seine/ihre Mitschüler:in. Insgesamt stellt die verbale Gewalt die häufigste Form von Gewalt an Schulen dar, wobei auch leichte physische und verbale Aggressionen vorherrschen. Gewalt von Schülern ist überwiegend ein Phänomen männlicher Schüler, während Mädchen seltener Opfer werden und weniger aggressives Verhalten zeigen. Aggressive Auseinandersetzungen treten vor allem in der Altersgruppe der 13- bis 16-Jährigen auf, was auf eine verstärkte Gewaltbereitschaft im Zusammenhang mit der Pubertät hinweist.

Es besteht tendenziell ein  Rückgang von Gewalt an Schulen mit steigendem Bildungsniveau, wobei Hauptschulen deutlich höhere Werte bei physischer Gewalt aufweisen als Gymnasien. Häufig geht Gewalt von einem kleinen gewalttätigen Kern aus, und je schwerwiegender die Gewaltakte werden, desto größer wird der Anteil zunächst gewaltpassiver Schüler, die sich ebenfalls daran beteiligen.

Es gibt keinen Beleg für das Stereotyp, dass ausländische Jugendliche generell aggressiver sind. Mehr als die Hälfte der Verletzungen treten während der Pausen auf. Das Phänomen des "Bullying" oder Mobbing gewinnt zunehmend an Bedeutung bei der Bewertung der Gewaltsituation in Schulen. Etwa 5 Prozent der Jugendlichen können als Bullies identifiziert werden, die Mitschüler in verschiedenen Formen angreifen und quälen, ohne selbst in besonderem Maße Opfer zu sein. Es ist wichtig, das Problem der Gewalt von Schüler:innen an Schulen nicht isoliert zu betrachten. Es gibt eine hohe Korrelation zwischen dem Schul-Bullying und allgemeinem delinquentem und dissozialem Verhalten.

Dass Gewalt jedoch auch heute noch Gewalt von Lehrer:innen auf Schüler:innen auch stattfindet, zeigt ein Fall aus Gießen. Dort attackiert ein Lehrer einen Elfjährigen und nimmt ihn dabei von hinten in den Würgegriff. Dabei droht er dem Schüler: “Ich kann aggressiv werden." Zuhause wird seine Mutter aufmerksam auf das Hämatom am Nacken. Geschockt von der Erzählung schreibt sie die Schulleitung und die Klassenlehrerin an, bekommt jedoch keine Antwort. Nur der beschuldigte Lehrer meldet sich und bietet ein acht Augengespräch an. Bei diesem Gespräch duzen sich die drei Kollegen, was bei der Mutter den Eindruck erweckt, dass eine gewisse Distanz zum Beschuldigten und Professionalität fehle. Der Lehrer war schon vorher durch das Werfen von Stiften auf Schüler:innen aufgefallen. Zwar zeigte er Reue, eine wirkliche Strafe blieb jedoch unklar und er durfte weiter unterrichten. Richtige Konsequenzen bei Gewalt von Lehrer:innen gegen Schüler:innen gibt es nicht, diese spielen sich im Ermessensspielraum der Schulleitung ab. Schulleitungen sind zwar verpflichtet, solche Gewalttaten der Schulaufsicht zu melden und ihnen nachzugehen, jedoch spielt das auch wieder in den Interpretationsspielraum rein, wann es sich um diese Art handelt. Das amtliche Schulamt gibt an, dass die notwendigen Maßnahmen getroffen worden sind. 

Bleiben Lehrer unverschont? 

Erschreckenderweise berichten zwei Drittel der Schulleiter:innen von direkter psychischer Gewalt wie Beleidigungen, Bedrohungen oder Belästigung gegen Lehrer:innen in den vergangenen fünf Jahren. Ein Anstieg um knapp 18 Prozent im Vergleich zu 2018, zunehmend ist vor allem Cybermobbing, knapp ein Drittel der Schulen sind davon betroffen, ein weiteres Drittel von gewalttätigen körperlichen Angriffen auf Lehrer:innen oder Schulleiter:innen. Besonders NRW sticht hier heraus, denn knapp die Hälfte der Schulen ist betroffen von körperlichen Angriffen. Oft wird dieses Thema jedoch verschwiegen und nur engen Kollegen werden die Geschehnisse anvertraut. Auch für die Schulleitungen ist es ein schwieriges Thema, da diese Angst vor einem drohenden Reputationsverlust haben, weil der Eindruck entstehen könnte, dass es nur in den Schulen zu Gewalt kommt. Der Grund seien die Gewalttendenzen aus dem sozialen Umfeld, diese führen dazu, dass die Schüler:innen aggressiv zur Schule gingen, so Zick (Gewaltforscher Universität Bielefeld). Auch für die Kultusministerkonferenz ist es ein größeres und gesamtgesellschaftliches Problem, welches angegangen werden muss. 

Wie können Gewaltausbrüche in Schulen minimiert werden?

“Eine Lösung könnten mehr Schulpsychologen oder Sozialpädagogen an Schulen sein, denn Lehrer seien zwar da, um Wissen zu vermitteln und die Schüler auf die Zukunft vorzubereiten, jedoch nicht, um sich zusätzlich noch um alle Sorgen zu kümmern", so Gerhard Brandt, Vorsitzender Verband Bildung und Erziehung. Andreas Zwick gibt weitere mögliche Ansätze in der Form von mehr Beratungsstellen für Lehrer:innen und Schüler:innen. Es brauche auch eine “umfassende Studie und Bestandsaufnahme aller Formen der Gewalt” sowie mehr Fortbildungen im Bereich Anti-Aggressionstraining, sodass diese auch in Ausnahmesituationen besser handeln können. 

Letztendlich lässt sich sagen, dass die Schule nie ein Ort war, an dem alles perfekt lief. Psychischer und physischer Stress sind fast schon normal geworden. So wirklich schuld sind nicht wie vor 70 Jahren nur die Lehrer:innen, denn mit dem Wandel der Zeit haben sich auch die Probleme der Gesellschaft auf das Zusammenleben in der Schule projiziert. Dabei hat Gewalt als disziplinarische Maßnahme von Lehrern angefangen und hat sich zum No-Go entwickelt. Leider passiert es immer noch, dass Lehrer:innen oder Schüler:innen gewalttätig werden. Dabei ist dann Nachforschung zu betreiben, wie es überhaupt dazu kommen konnte und wie man es in Zukunft verhindern kann. Letztlich kann man nur hoffen das mit der Zeit Gewalt an Schulen abnimmt, da es sich nur um Nachfolgen der Corona- Pandemie handelt.

Dieser Artikel war des letzte unserer Themenwoche zur Geschichte der Bildung, in dieser haben wir euch die Anfänge der Bildung gezeigt, euch verschiedene Bildungsideale vorgestellt, die Geschlechterrollen im Bildungswandel,  sowie das Bildungsbürgertum und ihre Ideale. Hat euch diese Themenwoche gefallen und seid ihr selber mal Gewalt in der Schule begegnet, schreibt es uns in die Kommentare.


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