Soldaten in deutschen Klassenzimmern? Ein Blick auf die Debatte

Soldaten in deutschen Klassenzimmern? Ein Blick auf die Debatte

Der Bundeswehr fehlen aktuell mindestens 20.000 Soldatinnen und Soldaten (Bild: ©Bundeswehr/S.Wilke Commons)

Berlin. Die Bundeswehr hat ein Nachwuchsproblem: Allein im letzten Jahr waren die Bewerberzahlen um ganze elf Prozent rückläufig und das, obwohl der Bundeswehr 2022 so viel Aufmerksamkeit zuteil wurde wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Vor diesem Hintergrund fordern Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) und die Wehrbeauftragte Eva Högl (SPD) einen Strategiewechsel bei der Nachwuchsgewinnung, denn bis 2031 soll die Zahl der Soldatinnen und Soldaten bei der Bundeswehr auf 203.000 steigen. Die Linke kritisiert diese Pläne als „aggressiv“ und wirft der SPD eine „Wehrpflicht durch die Hintertür vor.“

Das personelle Wachstum gilt in der Truppe als mindestens genauso wichtig wie eine ordentliche Ausrüstung. Aktuell fehlen der Bundeswehr jedoch 20.000 Soldat:innen. Diese bis 2031 zu rekrutieren, das hat sich das Verteidigungsministerium auf die Fahnen geschrieben, allen voran Verteidigungsminister Boris Pistorius und die Wehrbeauftragte Eva Högl. Pistorius kündigte am 1. Juni eine neue Anwerbekampagne an. Für den Zeitraum bis September 2023 sind insgesamt 119 Veranstaltungen und Vorträge von Karriereberaterinnen und Karriereberatern der Bundeswehr an deutschen Schulen geplant. Die Adressaten sind Schüler:innen ab der achten Klasse, denn bereits mit 17 Jahren kann man theoretisch Soldat:in werden. Das Verteidigungsministerium betont dabei, dass die unter 18-Jährigen keinen Dienst leisten, „der den selbständigen Gebrauch der Waffe fordern könnte.“ Dennoch gibt es Kritik aus den Reihen der Linkspartei, die eine derartige „Bundeswehr-Werbung in der prägenden Orientierungs- und Sozialisierungsphase“ grundlegend ablehnt. 

Zaklin Nastic, menschenrechtspolitische Sprecherin der Linken, bemängelt in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau: „Selbst in den Schulen, die eigentlich ein geschützter Raum sein sollten, wird Krieg als etwas Gewöhnliches und das Töten als Job unter vielen dargestellt.“ Die Hauptkritik am Vorhaben gilt also vornehmlich der Verherrlichung von Technik und Disziplin gegenüber den Schattenseiten des Krieges. Högl weist diese Kritik von sich. Ihr gehe es in erster Linie darum, das Interesse und die Neugier von Schülerinnen und Schülern für die Bundeswehr herauszufordern. Sie wünscht sich, dass junge Leute sich mehr mit der Bundeswehr auseinandersetzen, „auch kritisch.“

"Ich würde mich freuen, wenn die Lehrerschaft sagen würde: Es ist ein wichtiger Teil im Rahmen der Bildung, sich auch mit den Streitkräften auseinanderzusetzen", sagte die SPD-Politikerin den Zeitungen der Mediengruppe Bayern. Darüber hinaus plädiert Högl für eine allgemeine Musterung junger Menschen. Man könne „wie in Schweden einen gesamten Jahrgang junger Leute für die Bundeswehr zur Musterung einladen“, äußerte sie jüngst in einem Interview. Nastic sieht darin allerdings den „ersten Schritt zur Wiedereinführung der Wehrpflicht durch die Hintertür, auch wenn Frau Högl und Verteidigungsminister Pistorius etwas anderes behaupten.“

Die Fronten scheinen verhärtet. Zweifelsohne muss das Verteidigungsministerium neue Maßnahmen zur Personalrekrutierung entwerfen. Zuletzt ging die Kampagne „Was zählt, wenn sich die Zeiten ändern?“ an den Start. Bundeskanzler Olaf Scholz kündigte unterdessen an, nicht an der Verteidigung sparen zu wollen. Für den Haushaltstitel „Nachwuchswerbung“ ist ein jährliches Budget von 35,3 Millionen Euro veranschlagt. Dazu zählt auch die Bundeswehr – eben auch an Deutschlands Schulen.  

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