Der Fall Luca: Gibt es heute noch Berufsverbote in Deutschland?

Von
Jenny Hedermann
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February 2024
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Der Fall Luca: Gibt es heute noch Berufsverbote in Deutschland?

Gegen die Berufsverbote gingen damals viele Menschen auf die Straße. (Quelle: commons)

Frankfurt. Der Pädagoge Luca S. ist am Mittwoch vom Frankfurter Landgericht unter anderem wegen Landfriedensbruch zu sieben Monaten Bewährungsstrafe verurteilt worden. Nach dem gestrigen ersten Urteil gingen sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Verteidiger von Luca in Berufung. Das Frankfurter Landgericht hat daraufhin nicht nur das Urteil des Amtsgerichts bestätigt, sondern es sogar durch die Verschärfung mit einer siebenmonatigen Bewährungsstrafe intensiviert. Deshalb wird Luca nun der Einstieg in sein Referendariat verwehrt und die Rufe, die dem Staat die Durchführung von Berufsverboten vorwerfen, werden laut.

In den Fluren der Bildungseinrichtungen, wo das Streben nach Wissen und Offenheit gegenüber verschiedenen Perspektiven im Mittelpunkt stehen sollte, verweilt noch immer der Schatten einer dunklen Vergangenheit. Der Griff zu "Berufsverboten" war in der Geschichte Deutschlands keine unbekannte Maßnahme, besonders im Kontext des Radikalenerlasses von 1972. 

Berufsverbote bezeichnen staatliche Maßnahmen, die bestimmten Personen den Zugang zu bestimmten Berufen untersagen. In der deutschen Geschichte ist vor allem der Radikalenerlass von 1972 bekannt, der darauf abzielte, vermeintlich extremistische Personen aus dem öffentlichen Dienst, vor allem dem Bildungsbereich, auszuschließen. Dies führte dazu, dass einige Personen aufgrund politischer Überzeugungen oder Aktivitäten ihre berufliche Tätigkeit verloren oder gar nicht erst antreten konnten. Die Frage nach der Legitimität und Anwendung solcher Berufsverbote gibt bis heute Anlass zu Diskussionen. Aber ist das nur ein vergessenes Kapitel oder hat dieser Schatten immer noch Einfluss auf die Lehrerzimmer von heute?

Der Fall Luca

In den Räumen einer Gesamtschule in Frankfurt am Main wirft der Fall des 27-jährigen Pädagogen Luca Fragen auf. Trotz Wertschätzung seitens der Schüler:innen und Kolleg:innen, sieht sich Luca mit einer Ablehnung für das Referendariat konfrontiert. Der Grund hierfür ist eine rechtskräftige Verurteilung zu einer hohen Geldstrafe, resultierend aus einem Vorfall während einer Demonstration am 1. Mai 2021.

Luca bestreitet diese Anschuldigungen vehement und gibt an, er habe lediglich einer verletzten Person helfen wollen. Die Polizei habe nach dem Zünden von Böllern massiv interveniert, woraufhin Luca Rauchtöpfe beiseite warf, jedoch nicht gezielt auf die Polizisten. Der Vorwurf lautete, dass Luca einen Rauchtopf gezielt auf einen Polizisten geworfen haben soll. „Der Vorwurf ist, meiner Meinung nach, eine komplette Konstruktion", erklärt Luca im Gespräch mit Lehrer News. „Dass ich einen, von mir nicht entzündeten, nicht von mir mitgebrachten Rauchtopf weitergekehrt habe, ohne überhaupt zu sehen, wo ich den hinrolle.“ 

Das Gericht folgte jedoch der Darstellung der Polizisten, die von einem Angriff auf ihren Kollegen sprachen. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), deren Mitglied Luca ist,  wirft ebenfalls Fragen auf, da der vernommene Polizist in Widersprüche verwickelt scheint und das Bildmaterial der Demonstration den erhobenen Tatvorwurf nicht eindeutig unterstützt. „Der Landeort ist auf dem Video nicht zu sehen und der Zeuge widerspricht sich wiederholt“, beschreibt Luca. Trotz dieser unklaren Beweislage wird ihm der Eintritt in den Vorbereitungsdienst mit Verweis auf mangelnde Eignung verwehrt.

Obwohl das Urteil zu dem Zeitpunkt noch nicht rechtskräftig war, trägt Luca den Stempel der Vorbestrafung und die Geldstrafe wurde bereits in seinem Führungszeugnis vermerkt. Die Behörde verweigerte daraufhin seine Übernahme ins Referendariat. Sie stützt sich dabei auf das belastende Urteil und begründet die Ablehnung mit seiner mangelnden Eignung. „Ich bin mittlerweile zweimal vom Kultusministerium abgelehnt worden“, erklärt Luca. „Allerdings  nicht, wie im Falle der historischen Berufsverbote, auf Grundlage einer Organisationszugehörigkeit, sondern auf dem klassischen Weg: auf Grundlage der Annahme einer Vorstrafe“.

Luca wurde letztendlich zu einer Geldstrafe verurteilt. Am 31. Januar findet sein Berufungsverfahren statt und ihm droht eine Erhöhung der Strafe. Das widersprüchliche an Lucas Fall ist, dass er zur Zeit dennoch an einer Schule lehren darf. „Ich arbeite mit einem TV-H-Vertrag fast Vollzeit. Das Schulamt scheint es also nicht zu stören“.

Auf die Frage, ob Luca etwas an seinem politischen Engagement ändern würde, antwortet er: „Ich habe eher die umgekehrte Erfahrung gemacht, dass ich jetzt angefangen habe, nochmal stärker politisch zu wirken. Ich würde auch nichts an meinem Verhalten auf einer Demonstration ändern, in meinem Fall kam dies nur dazu, weil ich einer schwerverletzten Person helfen wollte“.

Mit der Verschärfung des Urteil auf eine siebenmonatige Haftstrafe verringert sich die Wahrscheinlichkeit immens, dass Luca noch Lehrer werden kann. Trotz der Gerichtsentscheidung hat Luca angekündigt, in Revision zu gehen. Gegenüber Lehrer News sagte er: „Mich bekommt niemand klein“.

Auch die GEW Hessen stimmt Luca in seiner Ansicht zu und schreibt in einem Dringlichkeitsantrag an die Landesdelegiertenversammlung: „Gerade im Schuldienst, wo Kinder und Jugendliche zu Demokratie, Kritikfähigkeit und Meinungsfreiheit erzogen werden sollen, braucht es politisch engagierte Lehrkräfte, die genau das auch leben und nicht nur lehren. Es ist scheinheilig, die Politikverdrossenheit junger Menschen zu beklagen, wenn man ihnen gleichzeitig immer wieder mit Instrumenten wie dem Berufsverbot vor Augen führt, dass politisches Engagement nur in engen Grenzen zulässig ist, und bestraft wird, sobald eine grundlegende gesellschaftliche Kritik enthalten ist“.

Doch woher kommt diese Praxis eigentlich? Ein Blick in die Geschichte hilft, die Ursprünge und die Entwicklung dieser Praxis zu verstehen.

Der Radikalenerlass gestern und heute

In der deutschen Geschichte sind Berufsverbote, insbesondere im Kontext des Radikalenerlasses (auch bekannt als Extremistenbeschluss) von 1972, als staatliche Maßnahmen bekannt, die darauf abzielt, vermeintliche Verfassungsfeinde insbesondere aus dem linken politischen Lager, vom öffentlichen Dienst auszuschließen. Diese Maßnahmen wurden unter Anwendung des §35 Beamtenrechtsrahmengesetz (BRRG) durchgeführt, der Beamt:innen zur Verfassungstreue verpflichtete. Besonders betroffen war der Bildungsbereich, und der Erlass hatte weitreichende Auswirkungen auf die Berufstätigkeit von Lehrkräften.

Der Radikalenerlass wurde von der Regierungskoalition aus SPD und FDP erlassen und führte dazu, dass Personen, die bestimmten politischen Überzeugungen zugeordnet wurden, ihre berufliche Tätigkeit verloren oder gar nicht erst antreten konnten. Dies geschah durch die Einführung von Regelanfragen beim Verfassungsschutz vor Einstellung oder während bestehender Dienstverhältnisse. Dadurch wurden Bewerber:innen aus dem Dienst entlassen oder nicht eingestellt, wenn sie als verfassungsfeindlich eingestufte Aktivitäten entwickelten. Im Rahmen dieses Erlasses wurden 1250 als linksextrem bewertete Lehrer und Hochschullehrer nicht eingestellt, und etwa 260 Personen wurden entlassen.

Eine politische Übereinstimmung über den Erlass bestand nicht mehr und der Unmut in der Bevölkerung darüber wuchs zunehmend, was 1979 zu seiner einseitigen Aufkündigung führte. Die SPD-regierten Länder hoben den Erlass im Laufe der Jahre stückweise auf. Erst ab 1985 wurde die Regelanfrage komplett abgeschafft, zuletzt 1991 in Bayern. Trotzdem hinterließ der Erlass tiefe Spuren, und die Frage nach der Legitimität und Anwendung solcher Berufsverbote wird bis heute kontrovers diskutiert. 

Die GEW Hessen kommentiert: „Auch für die aus den 70er Jahren betroffenen Kolleg:innen ist das Thema weiter aktuell: Ein öffentliches Eingeständnis, dass der Radikalenerlass Tausenden von Menschen die berufliche Perspektive genommen und sie in schwerwiegende Existenzprobleme gestürzt hatte, ist bis heute unterblieben. Eine materielle, moralische und politische Rehabilitierung der Betroffenen hat nicht stattgefunden. Eine politische Auseinandersetzung über die schwerwiegende Beschädigung der demokratischen Kultur durch die Berufsverbotspolitik steht bis heute aus“.

In den meisten Bundesländern wird heute eine sogenannte Bedarfsanfrage beim Verfassungsschutz durchgeführt, wenn sich Zweifel daran ergeben, ob der Bewerber jederzeit für die freiheitliche und demokratische Grundordnung eintreten wird. Im Fall von Luca handelt es sich also nicht um einen klassischen Fall von Berufsverboten, „weil es eben diesen Umweg über den Zivilprozess gibt“, erklärt Luca. „Das ist zumindest ungewöhnlich, aber nicht ganz: zehn bis zwanzig Prozent der früheren Berufsverbotsfälle seit den 1970ern fanden auch auf diesem Weg statt.“ Dennoch hat es für Luca den Eindruck, dass es hier um das gleiche geht: „Um die Ausschaltung von missliebigen Stimmen, die einfach viel Kritik an unserem Bildungssystem haben“.

Auch andere Beispiele wie der Fall von Michael Csaszkóczy, dem aufgrund seiner Mitgliedschaft in einer antifaschistischen Initiative die Einstellung als Lehrer verweigert wurde, oder der von Kerem Schamberger, der aufgrund seiner politischen Haltung als Kommunist keine Stelle als Doktorand erhielt, verdeutlichen, dass das Thema Berufsverbote weiterhin präsent ist. Diese Fälle zeigen auf, dass politische Überzeugungen und Aktivitäten auch heute noch Einfluss auf berufliche Perspektiven im Bildungsbereich haben können.

Die Frage nach der Legitimität und Anwendung von Berufsverboten bleibt somit ein aktuelles und kontrovers diskutiertes Thema, insbesondere in Zeiten des Lehrermangels. Die Debatte darüber, inwieweit politisches Engagement und persönliche Überzeugungen die berufliche Eignung beeinflussen sollten, ist nicht nur in der Vergangenheit relevant, sondern prägt auch die gegenwärtige Bildungslandschaft. Der Frage, wie politisch Lehrkräfte sein dürfen, gehen wir auch in dem Artikel Proteste gegen Rechts: Wie neutral müssen Lehrkräfte sein? nach. 

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