Angst schüren: Wie sich die Bildungspolitik unter einer AfD-Regierung verändern würde

Von
Leon Noel Gärtner
|
3
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August 2023
|
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Angst schüren: Wie sich die Bildungspolitik unter einer AfD-Regierung verändern würde

Zum ersten Mal stellt die Alternative für Deutschland (AfD) einen Landrat in Thüringen. Dass eine Partei, die in Thüringen als rechtsextrem eingestuft wird, ein solches Ergebnis erreichen kann, sollte die Gesellschaft in Alarmbereitschaft versetzen. Jeder Dritte in der Partei ist laut Statistik ein Rechtsextremist. Dennoch hat die AfD bundesweit in Umfragen nun über 20 Prozent der Stimmen und löst somit die SPD als drittbeliebteste Partei ab, obwohl sie als Gefahr für die Demokratie eingestuft wird und eine putschverharmlosende und radikale (nicht nur) Vergangenheit hat.

Wir von Lehrer-News wollen einen Blick auf einen möglichen Extremfall werfen: Was droht dem Bildungssystem unter der Führung der AfD?  

Die Pläne der AfD

Die Ziele und Ideale der AfD sind aus gutem Grund umstritten. Sie befürworten eine Deutsche Version des Brexits – welcher dem Vereinigten Königreich damals nachhaltig geschadet hat und in Kauf nahm, innerhalb einer globalisierten Welt wirtschaftlich abgehängt zu werden. Außerdem will die AfD Abtreibungen abschaffen, obwohl die USA derzeit zeigen, welche verherrenden Folgen solch ein Verbot haben kann, vor allem bezüglich des Schutzes von Frauen. Die AfD hängt zudem trotz zahlreicher Studien und Kontra-Argumenten dem Glauben an, dass es keinen menschengemachten Klimawandel gäbe und will den Klimaschutzplan 2050 aufheben. Nicht viel weniger kontrovers sind die Pläne der AfD für das Bildungswesen. Laut eigener Aussage will die AfD die selbstgesteuerte Kompetenzorientierung an deutschen Schulen abschaffen. Des Weiteren lehnen sie eine Globalisierung des deutschen Bildungswesens ab. Auch vertreten sie die Ansicht, dass Ideologien vorgegeben seien und wollen den Islamunterricht an Schulen nicht dulden. Darüber hinaus lehnen sie Antidiskriminierungsgesetze ab.

Der Deutsche Mittelstandsbund kritisierte in seiner Analyse des AfD Bildungsplans alle Aspekte scharf. Entweder fehlen wichtige Aspekte in Bezug auf die Verwirklichung von Zielen oder die Prozesse würden dem Land auf Dauer schaden. In Bezug auf den Wunsch Bologna, die gegenseitige Anerkennung von Studienleistungen und Studienabschlüssen sowie Qualitätssicherung in der Bildung in ganz Europa, abzuschaffen hat der DMB folgendes Urteil: “Eine Rückabwicklung des Bologna-Prozesses wäre nicht nur mit hohem Aufwand für die Hochschulen verbunden, sondern würde auch die qualifizierte Zuwanderung aus dem gesamten europäischen Ausland erschweren, da das Bologna-System zu einer deutlichen Vereinfachung bei der Anerkennung ausländischer Studienabschlüsse geführt hat.”

Hierbei handelt es sich allerdings nur um die offiziellen Stellungnahmen mit Fokus  auf das Thema Schule. Gemäß den anderen Idealen der Partei lassen sich andere Meinungen ableiten.

Inklusion in Gefahr

In der Vergangenheit wurden einige Aktionen und Pläne für mehr Inklusion in Schulen ins Leben gerufen. Pläne, die durch die AfD bedroht werden. Die Partei hat schon lange einen Anti-Inklusionsstandpunkt, am deutlichsten gezeigt durch die Ablehnung von Antidiskriminierungsgesetzen. Behinderte sollen keinen Platz an Regelschulen haben, Gleichstellungsbeauftragte sollen abgeschafft werden und auch die Haltung gegen andere Minderheiten ist klar negativ. Geschlechterquoten sind ebenfalls unbeliebt bei der Partei, da diese laut der AfD das ‘traditionelle’ Bild der Frau diskriminieren. Wenn die AfD schon jetzt behinderte Personen klar aus dem ‘normalen’ Unterricht verbannen will, so sind ähnliche Maßnahmen gegenüber anderen Personengruppen, die nicht dem Ideal der AfD  entsprechen, ebenfalls möglich. Vor allem, wenn die Aktionen der Partei jetzt schon darauf ausgelegt sind, die Schule zu einem Ort der eigenen Partei und Ideologie zu machen. 

Politische Indoktrinierung an Schulen: Die wirklichen Täter

Keine Ideologie kann überleben, wenn sie nicht von anderen weitergetragen wird. Als Beispiel, wie weitreichend und erschreckend effektiv die Indoktrinierung von Kindern sein kann, braucht man nur in Deutschlands Vergangenheit zu blicken. Die ‘Hitler-Jugend’, gegründet 1926, war eine nationalsozialistische Bewegung, die sich bewusst auf die nächste Generation und Heranwachsenden fokussierte. Spätestens 1939 war ein ‘Nein’ als Antwort zur Bewegung nicht mehr geduldet und die Teilnahme wurde zur Pflicht für alle Kinder und Jugendlichen. 8,7 Millionen Schüler:innen mussten bei den Aktionen der Gruppe mitmachen, die sich hauptsächlich um Propaganda und paramilitärische Aufgaben drehten. Alles unter der Vorstellung “Wer die Jugend hat, hat die Zukunft.”

Nur ein Grund, warum das Schulgesetz schon längst Werbung für politische Parteien untersagt. So heißt es im Thüringer Schulgesetz unter Paragraf 56, Absatz drei: "Kommerzielle Werbung und Werbung für politische Parteien und politische Gruppierungen ist in der Schule grundsätzlich nicht zulässig."

Lehrkräfte, die einer ideologischen Indoktrinierung und dem Rechtsextremismus entgegentreten, werden jedoch zu Feindbildern. Zwei Lehrer aus Burg in Brandenburg sprachen sich gegen die wachsende Bewegung an Schulen aus. Als Reaktion machten ihnen Rechtsradikale das Leben schwer. Aufkleber mit ihren Gesichtern und der Aufschrift “pisst euch nach Berlin”, wurden in der Stadt verteilt und es meldeten sich zahlreiche Eltern, die eine Entlassung bei der Schulleitung forderten. 

“Das Klassenzimmer darf kein Ort der politischen Indoktrination sein,” so steht es auf der Website der AfD selbst. Ihre Handlungen widersprechen aber ihren Aussagen. Robert Sesselmann, der neue gewählte AfD-Landrat in Thüringen, hat vor nicht allzu langer Zeit eine Grundschule besucht. Dabei sprach er über die anstehende Landtagswahl 2024 und das: “Wenn Sie mit der bisherigen Politik, die vor Ort betrieben worden ist, nicht einverstanden sind, dann haben Sie die Möglichkeit, ein Kreuz an einer bestimmten oder an einer richtigen Stelle zu machen”, alles in der Anwesenheit von Grundschulkindern.

Was für die AfD allerdings als ‘politische Indoktrinierung’ gilt, sind Aktionen wie Schule der Vielfalt, welche sich dafür einsetzt, dass unterschiedlichere Lebensweisen akzeptiert werden und über Themen wie Homosexualität und Transsexualität aufgeklärt wird. Die AfD verunglimpft dieses Bestreben jedoch als ‘Transwerbung’. Nicht überraschend, wenn man bedenkt, dass die Partei nur ein Familienbild bestehend aus Vater, Mutter und Kind dulden will. Erst recht nicht, wenn ein Ziel der AfD die Abschaffung von Gender-Forschung ist. In den eigenen Worten der Partei: “Wir lehnen alle Versuche ab, den Sinn des Wortes „Familie“ in Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz auf andere Gemeinschaften auszudehnen und der Familie auf diesem Wege den besonderen staatlichen Schutz zu entziehen.” Alles Aussagen, die besonders herausstechen, verglichen mit Personen wie Beatrix von Storch, welche unter anderem gegen die Transfrau und Grüne-Politikerin Tessa Ganserer hetzte. Hinzu kommen Aktionen wie der “Stolzmonat”, in dem LGBTQ+ Personen bewusst in den sozialen Medien angegriffen werden von deutschen Rechtsextremen und der Pride-Flag, der eine Deutschlandfahne mit mehreren Variationen von schwarz, rot und Gold entgegengesetzt wird.

Tino Chrupalla richtet sich an junge Männer

Nicht nur Robert Sesselmann geht direkt bei zukünftigen Generationen in die Offensive. AfD-Vorsitzender Tino Chrupalla hat ebenfalls ein Interesse an der Jugend geäußert. Der Malermeister fordert laut eigenen Aussagen mehr deutsches Kulturgut in den Schulen, kann aber selbst nicht mal ein Gedicht nennen. Auf Frage zu einem Lieblingsdichter meinte Chrupalla “Heinrich Heine”, von welchem die Texte ironischerweise bewusst von Schulen genutzt werden, um gegen Rassismus und Antisemitismus vorzugehen. 

Jugendliche als Zielgruppe sind aber auch abseits der Schule ein klares Ziel von Chrupalla. In einem TikTok Post richtete der AfD-Kandidat zur Europawahl an junge Männer, die Probleme haben Freundinnen zu bekommen. Die Aussagen, die er dabei wählte, spiegelten denen der ‘Red Pill’ Internetgruppen wider. An den Film ‘Matrix’ angelehnt soll die Red Pill für eine Befreiung von Unterdrückung stehen, nur statt einer Roboter Dystopia sollen Männer von einer vermeintlichen femininen Unterdrückung befreit werden. Diese Internetszene will die Ideologie verbreiten, dass ein Mann immer aggressiv und dominant sein soll und durch Dinge wie Toleranz und Feminismus verweichlicht würde. Konservative, antifeministische Werte sollen Männer befreien. Es wird die Idee verbreitet, dass Frauen mit einem hypermaskulinen, gewaltverherrlichenden Macho, der sie unterdrückt, zufriedener sind als mit jemandem, der sie als Mensch mit Rechten sieht. 

Eng verbunden mit dieser Ideologie sind auch sogenannte Incels. Zusammengesetzt aus den englischen Wörtern für unfreiwillig (involuntary) und sexuelle Enthaltsamkeit (celibate), ist Incel eine Selbstbeschreibung von jungen heterosexuellen Männern die Feminismus und der Gesellschaft die Schuld daran geben, selbst keine Sexualpartnerin zu haben. Laut Incels besitzen Frauen zu große Freiheiten bei der Partnerwahl und ein ‘Grundrecht auf Sex’ wäre ihnen als Verlierergruppe verweigert. Neben einem hasserfüllten Verlangen von Frauen, wurde auch Hass gegenüber Migrationsgruppen mit Incels verknüpft, als eine Bevölkerungsgruppe die Partnerinnen ‘wegnimmt’. In den USA und Kanada wurden bisher über 50 Todesfälle auf gewalttätige, selbsternannte Incels oder auch ‘Incel Rebellion’ zurückgeführt.

Rebellion gegen eine tolerante, liberale, frauenfreundliche ‘Tyrannei’ ist auch ein Grund, warum die Szene mit Rechtsextremisten verbunden ist. Incels, Rechtsextreme und Red Pill Angehörige verstehen sich selbst als Rebellen gegen eine ‘Blue Pill’ Tyrannei. Einer der bekanntesten Verbreiter solcher Ideologien ist der ehemalige Kickboxer Andrew Tate, welcher in Rumänien unter Hausarrest wegen Vergewaltigung und Menschenhandel steht. 

Ein besonders verlockendes Ziel sind dabei beeinflussbare junge Männer, die sich noch in ihrer Identität finden müssen. Chrupallas Appell an junge Männer erinnert stark an solche Botschaften. Nachdem Chrupalla meinte, Männer sollen keine Pornos schauen und nicht die Grünen wählen, worauf herkömmliche Floskeln zum Selbstbewusstsein anschließen, endete er seine Botschaft mit: “Lass Dir nicht einreden, dass du lieb, soft, schwach und links zu sein hast. Echte Männer sind rechts, echte Männer haben Ideale, echte Männer sind Patrioten, dann klappt es auch mit der Freundin.” Denke wie ein konservativer AfD Wähler, dann werden die Frauen kommen, so seine Botschaft, die als sein Leitfaden für Incels verstanden werden kann. 

Internationaler Vergleich: USA

Im US-Bundesstaat Florida zeigt sich derzeit ein Beispiel, wie das Bildungssystem geprägt von konservativen und queerfeindlichen Gruppen aussehen kann. Allein in Amerika kam es zu einer regelrechten Flut von Problemen. Ron DeSantis “Dont say Gay” Gesetz in Florida führte dazu, dass es nicht einmal mehr erlaubt ist, Homosexualität innerhalb des Unterrichts zu besprechen. Hierbei handelt es sich allerdings nicht nur um ein klares Zeichen von Diskriminierung und die Existenz einer ganzen Personengruppe zu verneinen, sondern auch um einen logischen nächsten Schritt einer im Bildungssystem aktiven AfD. Über Transsexuelle zu reden, soll jetzt schon verboten werden. 

Im besten Fall würde ein AfD kontrollierter Bereich im öffentlichen Leben, der so bedeutsam ist wie das Bildungssystem, Jahre von Fortschritt im Bereich Toleranz und Inklusion gefährden. Noch schlimmer, droht die Schule als Propaganda-Station verunglimpft zu werden.

Bis jetzt handelt es sich ‘nur’ um eine Wahl zum Landrat und ‘nur’ um 20 Prozent. Wenn jedoch nichts unternommen wird, könnte auch bei uns der rechte Rand wieder Einfluss auf die Bildungspolitik nehmen, wie es schon in anderen Teilen der Welt und in Deutschlands eigener Vergangenheit passiert ist. 

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