Bildung in der Krise: Die drei großen Herausforderungen unserer Schulen

Mann im Anzug vor rotem Hintergrund mit Blitz

Stefan Düll vom Deutschen Lehrerverband benennt wichtige Herausforderungen unserer Schulen (Bildquelle: Stefan Düll © Andreas Gebert).

Schulen brauchen mehr Zeit und Raum

Schulen in Deutschland sind unterschiedlich in ihrer Größe, Struktur und Atmosphäre, sie haben aber oft mit drei Herausforderungen zu kämpfen, die leider aktuell grundlegende Rahmenbedingungen unseres allgemeinbildenden und beruflichen Schulwesens sind: der Lehrkräftemangel, die nur schleppend vorankommende bzw. stockende Digitalisierung und der Sanierungsstau an den Schulen.

Lehrkräftemangel – eine Belastung für alle

Kinder und Jugendliche erhalten bei Unterrichtsausfall nicht den Unterricht, den sie für ihre Bildung brauchen, einzelne Fächer fallen über Wochen aus oder werden von wechselnden Lehrkräften vertreten. Ausfallender Unterricht kann zu Verständnisproblemen bei Kindern und Jugendlichen führen, weil Zeit zum Erklären und Wiederholen fehlt – Lücken, die den Schülerinnen und Schülern auch in späteren Jahren noch Probleme bereiten. Gerade in den jüngeren Jahrgangsstufen kann der Unterrichtsausfall auch zu Betreuungsschwierigkeiten führen. Schulleitungen vermeiden Unterrichtsausfall so gut wie möglich, Lehrkräfte springen tagtäglich mit zusätzlichen Stunden für erkrankte Kolleginnen und Kollegen ein, aber gerade in Krankheitsphasen im Winterhalbjahr reicht das nicht aus und belastet die noch gesunden Lehrkräfte, die dadurch auch leichter erkranken.

Sanierungsstau – marode Schulen und Container

Der Sanierungsstau an den Schulen – laut KfW in der Höhe von über 55 Milliarden – hat zur Folge, dass zahlreiche Kinder und Jugendliche in heruntergekommenen Altbauten oder in Ersatzcontainern unterrichtet werden und in manchen Kommunen und Städten insgesamt Schulplätze fehlen. Bröckelnder Putz, verwahrloste Toiletten, alte Heizungssysteme – in manchen Schulen steht das Wasser im Keller und marode Fenster sind zugeschraubt. Klassenräume sind zu klein für die neuen Unterrichtsformen und belasten durch schlechte Raumakustik. Schmutzige Wände oder abgewetztes Linoleum gehören eher noch zu den kleineren Problemen. Lehrkräfte haben in Kollegiumszimmern oft nur eine winzige Tischecke, um ihre Freistunden für Unterrichtsvorbereitung und Korrektur zu nutzen.

Schleppende Digitalisierung

Sanierungsstau und fehlende Schulneubauten heißt an vielen Orten auch schleppende Digitalisierung. Der Digitalpakt I und die Notwendigkeiten der Corona-Schulschließungen haben zwar viele Schulen in Sachen Digitalisierung vorangebracht– aber nach den jahrelangen Versäumnissen gibt es an vielen Schulen jetzt gerade mal die Mindestausstattung. Aktuelle Studien zeigen, dass die digitalen Kenntnisse der Schülerinnen und Schüler im Vergleich zu vorigen Jahrgängen abnehmen und von den Bedingungen im Elternhaus abhängen. Umso wichtiger, dass die Schulen eine digitale Ausstattung für Schülerinnen und Schüler und Lehrkräfte vorhalten, die sinnvollen und nachhaltigen digital gestützten Unterricht und Informatikunterricht ermöglichen. Junge Menschen, die Digitalprogramme nicht nutzen können, sich allenfalls von Social Media berieseln lassen und nicht in der Lage sind, KI-Resultate zu beurteilen und Fake News zu erkennen, sind für ihr zukünftiges Leben als mündige Bürgerinnen und Bürger nicht gerüstet.

Der Digitalpakt II muss möglichst schnell kommen. Mitte Dezember wurde zwar eine Absichtserklärung mit Eckpunkten von den Bundesländern und vom amtierenden Bildungsminister Cem Özdemir unterzeichnet – sie ist jedoch nicht bindend für die Zeit nach der Bundestagswahl. Wir fordern daher für den Bundeswahlkampf die Zusagen der möglichen Regierungsparteien, dass sie sich an die Vereinbarung halten und sich schnell für die Umsetzung der Eckpunkte mit Mitteln des Bundes einsetzen: Schulen brauchen neben der Infrastruktur, die vielfach durch den Digitalpakt I ermöglicht wurde, kontinuierlich Mittel, um Geräte zu warten und zu ersetzen, um IT-Administratoren zu bezahlen, um Lizenzen für neue Entwicklungen wie KI zeitnah an ihren Schulen verwenden zu können. Und – sie brauchen Informatiklehrkräfte, was wiederum zum Bereich des Lehrkräftemangels zurückführt.

Die Formel, mit der diese schlechten Rahmenbedingungen von Lehrkräftemangel, Sanierungsstau und schleppender Digitalisierung geändert werden kann, heißt: Schulen brauchen Zeit und Raum.

Mehr Zeit für besseres Lernen

Kinder und Jugendliche brauchen Zeit zum Lernen als Unterricht, der nicht ausfällt, und in Form von Lehrkräften, die ihre Zeit und Kraft den Schülerinnen und Schülern widmen können und nicht durch unterrichtsferne Verwaltungstätigkeiten und kontinuierliche Vertretungspflichten belastet werden. Lehrkräfte brauchen Zeit, ihren Unterricht vorzubereiten, und Zeit, um ihre Schülerinnen und Schüler mit konstruktivem Feedback individuell zu fördern. Kleinere Klassen bedeuten mehr Zeit für den Einzelnen in der pädagogischen Betreuung.

Schulleitungen brauchen Zeitressourcen, um ihrem Kollegium Weiter- und Fortbildungen zu ermöglichen. Und sie brauchen mehr Verwaltungspersonal und eine integrierte Vertretungsreserve, um die Lehrkräfte des Kollegiums vor Überarbeitung zu schützen und Burn-out zu verhindern. Die Schulgemeinschaft braucht neben den Lehrkräften für den sozialen Zusammenhalt der Schule flankierendes Personal in den Bereichen Schulsozialarbeit, Schulassistenz und Schulpsychologie.

Mehr Raum für modernes Lernen

Schulen brauchen mehr Raum: Benötigt werden größere Klassenräume und zusätzliche Räume, um moderne Unterrichtsformen umsetzen zu können. Schülerinnen und Schüler brauchen neben Sportplätzen und -hallen einen Schulhof für ihre Pausen, der nicht von Containern als Ersatzräumen belegt ist. Die Schulen als Gebäude müssen in Klima-, Heizungs- und Lüftungstechnik so ausgestattet sein, dass sie den Problemlagen – z.B. durch immer heißere Sommer oder hohe Kranken- und Ansteckungszahlen bei schlechter Lüftung – begegnen können. Sowohl Lehrkräfte wie Schülerinnen und Schüler brauchen Räume, die sie in ihren Freistunden sinnvoll nutzen können.

Lehr- und Lernumgebung

Gesellschaft und Politik müssen Personal und Geld und somit Zeit und Raum an dem Ort investieren, an dem Schülerinnen und Schüler und Lehrkräfte einen Großteil ihres Alltags verbringen: die Schule. Kinder und Jugendliche brauchen eine Lernumgebung, in der sie sich wohlfühlen. Warum sollten sie ihre eigene Bildung wichtig nehmen, wenn sie durch die heruntergekommenen Schulen und den Lehrkräftemangel signalisiert bekommen, dass der Gesellschaft ihre Bildung nichts wert ist? Lehrkräfte brauchen eine Arbeitsumgebung, in der sie sich wohlfühlen und die ihnen nicht zusätzlich Kräfte abverlangt. Um dem Lehrkräftemangel kurzfristig zu begegnen, müssen wir die Kräfte der aktuellen Lehrkräfte schonen, um langfristig Abhilfe zu schaffen, müssen Schulen ein attraktiver Arbeitsort sein, damit sich viele junge Menschen für diesen Beruf entscheiden. Dafür braucht es keine neuen Schulstrukturdebatten, sondern Ressourcen für unser bestehendes Bildungssystem. Mit den Ressourcen für Zeit und Raum an den Schulen gelingt dann auch die Chancengerechtigkeit für Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlichen Bildungshintergründen.

Kurzvita

Stefan Düll ist Präsident des Deutschen Lehrerverbands und Oberstudiendirektor. Er hat langjährige Erfahrung als Gymnasiallehrer für Deutsch, Englisch und Geschichte und setzt sich aktiv für die Belange der Lehrkräfte ein. Stefan Düll ist Mitglied im Hauptvorstand des Bayerischen Philologenverbandes bpv, Mitglied im dbb-Bundeshauptvorstand, Mitglied im Hauptausschuss des Bayerischen Beamtenbundes BBB; Schulleitung und Seminarvorstand am Justus-von-Liebig-Gymnasium Neusäß und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft höherer Dienst AhD. Er engagiert sich für bessere Bildungsbedingungen und die Anerkennung der Leistungen der Lehrkräfte.

Wir bedanken uns bei dem Deutschen Lehrerverband für ihren Beitrag und möchten hinzufügen, dass der Inhalt des Artikels nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wiedergibt.

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