Gastbeitrag: Wenn man Lehrer werden will, es aber nicht darf

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18
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March 2024
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Gastbeitrag: Wenn man Lehrer werden will, es aber nicht darf

Paul Messall hat von 2018 bis 2022 Lehramt in Hessen studiert, findet allerdings trotz Lehrermangel keine Anstellung (Quelle: Autor)

Ein Gastbeitrag von Paul Messall.

Lehrer werden – das war bereits seit Kindertagen mein Traumberuf. Ich kann mich erinnern, dass ich in einem Freundebuch-Eintrag in der dritten Klasse das Feld Traumberuf mit „Lehrer“ ausfüllte. Später entwickelte sich die Tendenz, dass ich gerne allgemein mit Kindern arbeiten wollte. Kinder in ihrer Entwicklung zu fördern und zu beobachten, wie sie Fortschritte machen, lernen und ihre kreative Fantasie entfalten, ist einfach faszinierend – das empfinde ich immer noch.

Mit viel Motivation begann ich nach meinem Abitur und einem anfänglichen Studienfehlgriff endlich mein lang ersehntes Lehramtsstudium in Hessen. Ursprünglich wollte ich gleich Grundschullehramt studieren, der Erzfeind Numerus Clausus hat mir jedoch einen Strich durch die Rechnung gemacht. Aber wäre ich ohne super tolles Abitur ein schlechterer Lehrer? Es wurde schließlich Deutsch und Geschichte für Haupt- und Realschulen, was ich jedoch auch cool fand, vor allem Ersteres. Ein Praktikum an dieser Schulform zeigte mir, dass mir der Unterricht dort ebenso Freude bereitet. Im Herbst 2018 startete mein Lehramtsstudium. Dass das Lehramtsstudium nicht viel mit der Praxis zu tun hat, wusste ich bereits vorher, aber das, was mich dann erwartete, übertraf alles. Die meisten Dozierenden haben selbst noch nie unterrichtet oder überhaupt selbst Lehramt studiert, die Inhalte waren meist praxis- und realitätsfern und fast alle Veranstaltungen waren schulform- und studiengangsübergreifend. Ich habe jede Veranstaltung meines Studienplans besucht und jedes Mal vergeblich nach dem Aha-Effekt gesucht, im Sinne von „Das brauche ich später als Lehrer“. Natürlich gab es das ein oder andere Seminar, in dem man ein paar Tipps bekommen hat. Diese Seminare waren jedoch an einer Hand abzuzählen. Für die gesamte Lehrerpraxis ist das Studium einfach komplett unzureichend.

Während des Studiums verschlechterte sich meine Augenkrankheit – genannt Keratokonus. Vor allem zum Ende meines Studiums bemerkte ich eine deutliche Verschlechterung. Lesen kleiner Schrift fiel mir schwerer, auch bei längerer Konzentration auf lange Texte konnte ich diese schwerer lesen. Vor allem in diesem Bereich habe ich Einschränkungen. Die Krankheit ist recht selten, hält sich bei mir jedoch (derzeit) konstant. Trotzdem erhielt ich einen Behinderungsgrad von 50. Die Krankheit macht die Arbeit an einer weiterführenden Schule fast unmöglich. Kleinstschrift in Büchern lesen, mehrere hundert Seiten Aufsätze korrigieren, all das ist entweder nicht mehr möglich oder würde meine Augenerkrankung vielleicht noch verschlimmern. An der Grundschule funktioniert alles wie vorher. Viele verstehen das nicht, jedoch ist die Vor- und Nachbereitung an Grund- und weiterführenden Schulen natürlich genauso unterschiedlich wie der Unterricht an sich.

Im Mai 2022 schloss ich mein Lehramtsstudium ab. Endlich fertig, dachte ich – Jetzt kann es losgehen. Aus persönlichen Gründen hat mich mein Weg gleich nach dem Abschluss nach Berlin gebracht. Ich wusste, dass die Berliner Grundschulen unter starkem Lehrermangel leiden und genau an dieser Schulform wollte ich arbeiten. Das passt doch eigentlich perfekt, dachte ich mir – doch dann kam die Ernüchterung. Auf die Anfrage an den Bildungssenat, ob ich an einer Grundschule mein Referendariat absolvieren darf, kam die Antwort: „Nein, Sie können in der Ausbildung Ihr Referendariat nicht an einer Grundschule absolvieren, da Sie ja nicht auf Grundschullehramt studiert haben.“ Komisch, ich darf nicht an die Grundschule, weil ich kein Grundschullehramt studierte, aber ich soll ans Gymnasium, was ich ebenso nicht studierte und für das ich in Hessen eigentlich sogar zwei Semester länger studieren müsste? In Berlin existiert meine studierte Schulform übrigens seit Jahren nicht mehr. Die Begründung fiel bei fast jeder Anfrage an den Senat oder die Kultusministerkonferenz anders aus. Manchmal lag es auch daran, dass ich keine Mathematik studiert habe. Tja, es gibt jedoch auch Bundesländer, in denen man Grundschullehramt ohne Mathematik studieren kann, in dem Fall dürfte ich laut Senat jedoch an einer Grundschule das Referendariat absolvieren, auch ohne Mathematik. Ein wesentlicher Widerspruch betrifft dabei auch die ehemalige Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse, die in der ersten Zeit meines Engagements im Amt war. Diese studierte Politik und Geografie auf Lehramt, keine Mathematik und kein Deutsch, absolvierte jedoch trotzdem damals ihr Referendariat an einer Grundschule in Berlin. Heute ist sie Präsidentin der KMK und entspricht nicht einmal selbst dem, was die KMK und der Bildungssenat als Begründung für meine Ablehnung an der Grundschule nennen.

Zweimal bewarb ich mich für das Referendariat. Nach dem zweiten Versuch erhielt ich prompt eine Art Absage vom Senat: „Ihrem Wunsch den Vorbereitungsdienst für das Lehramt an Grundschulen zu absolvieren kann nicht entsprochen werden“. Seiteneinsteiger ohne Lehramtsstudium dürfen als Lehrkraft arbeiten, selbst wenn sie aus einem komplett anderen Bereich kommen und nicht studiert haben. Mit der Zeit fasse ich dies so auf, dass ich den Bildungsministerien zu unqualifiziert bin. Es ist mittlerweile einfacher, ohne Lehramtsstudium an einer Schule zu arbeiten, als mit einem Lehramtsstudium an einer anderen Schulform zu arbeiten.

Auch Lehrkräfte, die körperliche Gewalt gegen Schüler:innen anwenden, dürfen weiterhin als Lehrkraft arbeiten, da die Gesetzeslage derzeit noch keine Sanktionen für diese Situation vorsieht. Es scheint schon etwas willkürlich, dass die Bildungsministerien Gewalt an Schüler:innen dulden, wie Vorkommnisse in Krefeld, Berlin-Pankow oder kürzlich in Gießen zeigen, aber Lehramtsabsolvent:innen keine Wahlfreiheit der Schulform oder andere Lockerungen gewähren.

Der Bildungssenat riet mir, zurück nach Hessen zu gehen – zweimal – in offiziellen Schreiben. Ich bin immer noch etwas baff, wenn ich darüber nachdenke, da in Berlin Grundschullehrkräfte dringend gesucht werden. In Hessen dürfte ich das Referendariat ebenso nicht an einer Grundschule absolvieren und dort wohne ich auch schon lange nicht mehr. Ich denke, das wusste der Senat auch und man hielt sich an das Motto „Sollen sich doch andere kümmern“. Ist das der richtige Weg neue Lehrkräfte anzuwerben?

Mehrere Male versuchte ich 2023 Kontakt zu der Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch aufzunehmen. Zunächst war ich über die Rückmeldung recht erstaunt. Das Sekretariat teilte mir mit, dass man „wirklich sehr gewillt [ist], allen Anliegen tätig zu werden und zu helfen“ und „bei der Senatsleitung von Frau Günther-Wünsch […] Ihre Nachricht in den richtigen und guten Händen“ ist. Mittlerweile weiß ich, dass dies nur ein Ablenkungsmanöver war. Man ist weder gewillt, tätig zu werden, noch werden die Anliegen ernst genommen. Nach all dem Schriftverkehr mit dem Bildungssenat Berlin, den Bildungsministerien anderer Bundesländer und der KMK stelle ich allmählich fest, dass diese Institutionen keinen Bezug zur Realität haben – derweil erkennt man die daraus folgenden Auswirkungen.

Jetzt sind es fast zwei Jahre, in denen ich mich für eine Reformierung einsetze. Ich hatte Kontakt mit den regierenden Parteien Berlins, mit Antidiskriminierungsstellen, der GEW, habe versucht, die Senatorin zu kontaktieren und war mehrfach in der Presse – zusammengekommen sind insgesamt rund 200 Seiten Schriftverkehr. All das wird von dem Bildungssenat und einigen Parteien ignoriert, Änderungsvorschläge und Kritik sind unerwünscht, Missstände und Widersprüche werden damit vertuscht. Zunächst fingiertes Interesse wendete sich schnell zu Gleichgültigkeit und Ausreden, um nichts an dem Schulsystem verändern zu müssen. Werde ich doch vielleicht eher wegen der Behinderung ausgegrenzt? Oder sind es die anhaltenden Geschlechter-Klischees? Ist es mein Engagement? Ich weiß es nicht.

Theoretisch hätte ich das Referendariat im Sommer 2024 abgeschlossen und hätte voll als Lehrer an einer Grundschule arbeiten können. Stattdessen arbeite ich in der Öffentlichkeitsarbeit eines Start-ups, während jemand mit einem Studium für diesen Beruf jetzt als Lehrkraft an einer Grundschule arbeitet – irgendwie verdreht. Ich bin jedoch dankbar, dass mir das Unternehmen die Chance gab, dort zu arbeiten, da man mit einem Lehramtsstudium oft stigmatisiert wird.

Es gibt sehr viele junge Lehrkräfte und Absolvent:innen in meiner Situation, dies bestätigte die GEW und selbst der Senat. Das sind alles potenzielle und motivierte Lehrkräfte, die aufgrund der Bürokratie und der nachlassenden Mitbestimmungsmöglichkeiten der Bildungsakteure entweder nachgeben oder den Lehrerberuf an den Nagel hängen müssen. Währenddessen arbeiten Menschen aus ganz anderen Bereichen als Lehrkräfte. Da fragt man sich doch, wozu man noch auf Lehramt studieren soll.

Die Berliner Morgenpost hat für mich mit der Bildungssenatorin in Berlin Kontakt aufgenommen. Diese wollte die Angelegenheit noch einmal überprüfen lassen. Das Ganze ist schon einige Monate her. Erfahrungsgemäß ist dies eher ein Täuschungsmanöver um Ruhe zu haben, eine Antwort brauche ich nicht mehr zu erwarten. Es ist schon grotesk, wenn man immer wieder liest, dass Lehrkräfte händeringend gesucht werden, die Bildungsministerien jedoch angehende Lehrkräfte in verschiedenen Situation ignorieren.

Ich habe mich schweren Herzens dazu entschieden, das Referendariat nicht mehr zu absolvieren. Hätte ich es gleich nach meinem Studium beginnen dürfen, würde ich diesen Sommer das Referendariat abschließen. Man will mich nicht und nach zwei Jahren Schweiß, Tränen und psychischer Belastung muss ich das akzeptieren. Ich bin einer von vielen, denen durch die Bürokratie und die abstrakten Vorstellungen der KMK sowie der Bildungsministerien der Eintritt in den Lehrerberuf versagt wurde.

Man mag sich jetzt vielleicht fragen, warum ich mir den „Hintern“ so aufreiße, oder? Unser Schulsystem befindet sich in einer unübersehbaren Krise. Es muss sich viel ändern und dazu zählt auch die Lehrerausbildung und -einstellung, die oftmals vernachlässigt wird. Wir brauchen mehr Flexibilität, Chancengleichheit und primär Mitbestimmungsmöglichkeiten für die Bildungsakteure.

Zum Autor: Paul Messall hat von 2018 bis 2022 Lehramt in Hessen studiert. Seit einigen Jahren leidet er an der Augenkrankheit Keratokonus und einer Myopie auf dem linken Auge sowie einer Hyperopie auf dem rechten. Seit Mai 2022 setzt sich Messall als Bildungsaktivist für die Reformierung und Lockerung in der Lehrkräfteausbildung und dem Referendariat ein. Dabei arbeitet er mit verschiedenen bildungspolitischen Organisationen zusammen. Derzeit arbeitet er im Bereich Öffentlichkeitsarbeit in einem Berliner Unternehmen. Sein Traum ist es weiterhin, Lehrer zu werden. Das Referendariat möchte er jedoch nicht mehr absolvieren.

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