Länder gehen unterschiedliche Wege, um Förderschüler an den Arbeitsmarkt zu bringen

Länder gehen unterschiedliche Wege, um Förderschüler an den Arbeitsmarkt zu bringen

Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Jürgen Dusel, will die Inklusion an Regelschulen fördern, um Schüler:innen mit Förderbedarf zu besseren Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verhelfen. (Quelle: bmas, Henning Schacht)

Förderschüler:innen haben es trotz einer abgeschlossenen Schullaufbahn im Vergleich zu Jugendlichen ohne Förderbedarf häufig viel schwieriger, den Einstieg ins Berufsleben zu meistern. Dieser Umstand ist seit Jahren und Jahrzehnten bekannt, doch bisher hat sich nicht grundlegend etwas daran geändert. Immer wieder werden in diesem Zusammenhang verschiedene neue Modelle diskutiert, die dazu führen sollen, dass uns gesamtgesellschaftlich betrachtet Inklusion im Schulsystem und am Arbeitsmarkt besser gelingt. Flächendeckend durchgesetzt hat sich noch keines der Modelle. Dazu sind die Unterschiede im Umgang mit diesem Thema je nach Bundesland sehr groß. In diesem Artikel soll ein Status quo der Situation für Schüler:innen mit Förderbedarf mit Blick auf ihre Chancen am Arbeitsmarkt abgebildet werden.

Sachsen-Anhalt will bessere Chancen auf den Hauptschulabschluss schaffen

Die Regierung in Sachsen-Anhalt möchte für Förderschüler:innen bessere Möglichkeiten schaffen, den Hauptschulabschluss zu erwerben. Das Kultusministerium hat Ende Februar 2024 mitgeteilt, dass ab dem nächsten Schuljahr die Option besteht, an Förderschulen mit dem Schwerpunkt Lernen eine Klasse zum Erwerb des Hauptschulabschlusses einzurichten. Es sollen auch Kooperationen zwischen mehreren Förderschulen möglich sein, damit eine solche Klasse angeboten werden kann. Hintergrund ist, dass Schüler:innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Lernen häufig unterhalb der Lehrplananforderungen der allgemeinen Schulen unterrichtet werden würden. Damit erreichen sie keinen anerkannten Schulabschluss, sondern erhalten nur ein Abgangszeugnis, das am Arbeitsmarkt oft als weniger wertvoll wahrgenommen wird. 

Bislang konnten Förderschüler:innen mit dem Schwerpunkt Lernen, die die leistungsmäßigen Voraussetzungen erfüllten, an Sekundar- und Gemeinschaftsschulen eine Kooperationsklasse besuchen, um den Hauptschulabschluss zu erlangen. Die Regierung in Sachsen-Anhalt möchte den Förderschüler:innen aber die Möglichkeit geben, in einer gewohnten, vielleicht besser abgestimmten Umgebung, ihren Hauptschulabschluss zu machen. Bildungsministerin Eva Feußner erklärte das wie folgt: „Damit schaffen wir eine gezielte Förderung für Schülerinnen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt Lernen und eröffnen ihnen neue Chancen auf einen erfolgreichen Abschluss in einem für sie passenden Umfeld. Unser Ziel ist es, allen Kindern und Jugendlichen in Sachsen-Anhalt gerechte Bildungschancen zu bieten und ihre individuellen Bedürfnisse bestmöglich zu unterstützen".

Hauptschulabschluss scheint kein Allheilmittel zu sein

Eine gemeinsame Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) hat Ende 2021 gezeigt, dass Förderschüler:innen mit Hauptschulabschluss bessere Chancen am Arbeitsmarkt haben, als Förderschüler:innen ohne Abschluss. Aber die Zahlen sind immer noch erschreckend gering. Demnach haben etwa 23 Prozent der ehemaligen Förderschüler:innen sechs Jahre nach dem Besuch der 9. Klasse noch keine Ausbildung gefunden. Bei den Jugendlichen von Regelschulen, die maximal einen Hauptschulabschluss erlangt haben, waren es dagegen 13 Prozent. Schüler:innen von Förderschulen verbringen außerdem mehr Monate in berufsvorbereitenden Maßnahmen als ehemalige Regelschüler:innen mit Hauptschulabschluss. Zudem hatten nur 35 Prozent der Jugendlichen von Förderschulen ihre Ausbildung im Zeitraum von September 2011 bis Oktober 2016 erfolgreich abgeschlossen, bei den Jugendlichen von Regelschulen waren das 43 Prozent. Die Perspektiven von Schüler:innen mit Förderbedarf, die eine Förderschule besucht haben, sind also weniger aussichtsreich, als die von Jugendlichen anderer Schulen. Kritiker:innen zweifeln auch deshalb die Sinnhaftigkeit solcher Förderschulen an und wollen andere Modelle zum Standard machen. 

Rheinland-Pfalz strebt Konzepte für Anschluss in Regelschulen an

Auch die Regierung in Rheinland-Pfalz hat im Bereich Förderschüler:innen im “Übergang zum Arbeitsmarkt” Handlungsbedarf erkannt. In den vergangenen Jahren hätten dort laut Bildungsministerium jährlich zwischen 2.000 und 3.000 Schüler:innen die Schule ohne Berufsreife verlassen. Deutlich mehr als die Hälfte davon waren im Schuljahr 2021/22 Schüler:innen mit einem Förderbedarf. Die hohen Zahlen bei Schüler:innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf ließen sich laut Ministerium damit erklären, dass Schüler:innen mit Abschlusszeugnissen in zwei von insgesamt sieben sonderpädagogischen Förderschwerpunkten als Abgänge ohne Berufsreife in die Statistik eingingen. Konkret treffe das auf die Förderschwerpunkte “Lernen” und “ganzheitliche Entwicklung” zu. In denen werde laut Ministerium mit rund 87 Prozent der Großteil der Schüler:innen an Förderschulen unterrichtet. Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD) sieht hier Bedarf für Veränderung und sagte in diesem Zuge der Deutschen Presse-Agentur, auch junge Menschen, die im Förderschwerpunkt Lernen unterrichtet würden, sollten im Rahmen ihrer Möglichkeiten den Berufsreifeabschluss anstreben können, sei es an Realschulen plus oder Integrierten Gesamtschulen, im freiwilligen zehnten Schuljahr an Förderschulen, im Rahmen des Projekts “Keine/r ohne Abschluss” oder in einem Berufsvorbereitungsjahr. Das Bildungsministerium will die Chancen beim Einstieg von Förderschüler:innen am Arbeitsmarkt verbessern, indem man die Inklusion an Regelschulen stärker in den Fokus nehme. Förderschulen würden in den kommenden Jahren ihre Konzepte verstärkt darauf ausrichten, dass Schüler:innen, die die Berufsreife anstrebten, Anschluss an den Unterricht in Regelschulen finden, so die Bildungsministerin.

Behindertenbeauftragte der Bundesregierung strebt Inklusion an Regelschulen an

Die Beispiele von Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt zeigen nur exemplarisch, wie unterschiedlich die Strategien der Länder sind, um Schüler:innen mit Förderbedarf den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern. Eine deutschlandweite Linie, die wissenschaftlich gestützt wäre, gibt es noch nicht. Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Jürgen Dusel, würde im Angesicht seiner Aussagen zum Thema aber wohl eher das Modell aus Rheinland-Pfalz unterstützen. 

Dusel selbst ist von Geburt an stark sehbeeinträchtigt, hat aber eine Regelschule besuchen können. Gegenüber dem Deutschen Schulportal sagte er: “Ich kann aus Erfahrung sagen: Inklusion an Schulen ist gut für die Kinder und Jugendlichen – und zwar für die mit und ebenso für die ohne Behinderungen”. Neben den positiven Aspekten schulischer Inklusion stellt er aber auch noch eine weitere interessante Seite an der Diskussion heraus: “Es gibt noch einen anderen Grund, der Inklusion an Schulen alternativlos macht: Die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen ist ein Menschenrecht. Es geht nicht nur um ein “Nice to have“, sondern auch um die Umsetzung fundamentaler Grundrechte: also der Würde des Menschen, der Entfaltung der Persönlichkeit und der Gleichberechtigung vor dem Gesetz. Deutschland hat 2009 die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) ratifiziert. Damit ist dieser völkerrechtliche Vertrag geltendes Recht in Deutschland geworden, der sowohl für die Bildung als auch für die Arbeitswelt, die Mobilität, das Wohnen oder etwa das Gesundheitswesen eine gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen vorsieht”.

Im Kern sind sich die Akteur:innen aus der Bildungspolitik einig: Schüler:innen mit Förderbedarf, insbesondere mit dem Förderschwerpunkt Lernen, müssen bessere Zugangschancen für den Arbeitsmarkt bekommen. Wie man dieses Ziel gesellschaftlich erreichen kann, darüber gehen die Meinungen allerdings auseinander. Hierbei zeigen sich mal wieder gleichermaßen die Stärken und Schwächen des Bildungsföderalismus. Einerseits kann jedes Land sein eigenes Süppchen brauen und dies kann bedeuten, dass Förderschüler:innen, abhängig davon wo sie wohnen, unterschiedlich gute Chancen auf einen guten Berufseinstieg haben. Andererseits bietet das System Chancen, dass Länder ihre ausgewählten Modelle schneller umsetzen und ausprobieren können. Hierbei können auch Vorbildrollen entstehen und andere Länder könnten davon wiederum profitieren.

Welcher Ansatz ist eurer Meinung nach der Richtige? Schreibt es uns gerne in die Kommentare.

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