Wachsender Unterstützungsbedarf: Wie der Nahostkonflikt die Schulen belastet

Von
Maria Ivanov
|
15
.
November 2023
|
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Wachsender Unterstützungsbedarf: Wie der Nahostkonflikt die Schulen belastet

Jenseits des Stundenplans: Der Umgang mit dem aktuellen politischen Geschehen stellt alle Akteure des Bildungssystems vor eine Herausforderung (Quelle: Canva)

Schneverdingen/Berlin. 300 Anfragen von Schulen zum Austausch mit Schüler:innen über den Nahostkonflikt erhielt die deutsch-Palästinenserin Jouanna Hassoun in kürzester Zeit – es besteht sehr großer Rede- und Aufklärungsbedarf, den die Schulen alleine nur noch schwer stemmen können. Gemeinsam mit Shai Hoffmann, einem deutschen Juden mit israelischen Wurzeln, schafft sie an einer Schule in Offenbach Platz für direkten Austausch zur Thematik, wie die Tagesschau berichtet. Sie treten mit den Schülerinnen in eine offene Diskussionsrunde zum andauernden Nahostkonflikt, von dem die beiden direkt betroffen sind. Inmitten einer unkontrollierbaren Nachrichtenflut in den sozialen Medien, reißerischer Meinungsmache und dem ganz normalen Unterrichtsalltag stellt der Nahostkonflikt Schulen und Lehrkräfte derzeit vor einige Herausforderungen, über die sich im so geschaffenen Rahmen ausgetauscht werden kann. Neben dem in Kontakt treten mit jungen Menschen sei ihr gemeinsames Ziel sei dabei vor allem, “Sensibilität für die jeweils Anderen zu fördern”, erzählen sie gegenüber der Tagesschau: “Ich könnte niemals sagen, sein Schmerz ist ein anderer als meiner”, legt Hassoun den Schülerinnen gegenüber offen.

Es ist nicht vermeidbar, dass Schüler:innen auf unterschiedlichen Wegen, spätestens aber nach dem Unterricht online auf dem eigenen Smartphone, auf teils verstörende mediale Inhalte und problematische Kommentarspalten stoßen. Auch im Elternhaus werden eventuell Meinungen kundgetan oder Diskussion rund um Themenfelder geführt, die den Schüler:innen bislang fremd waren. Dazwischen einen Überblick zu gewinnen und sich eine eigene fundierte Meinung zu bilden, gestaltet sich oft  schwierig. Vor allem dann, wenn junge Menschen gerade erst dabei sind, ein Gespür für Nachrichten und internationale Politik zu entwickeln. 

Wie fühlen sich Schüler:innen derzeit?

Schüler aus Niedersachsen berichten beispielsweise davon, Druck zu verspüren, sich in der breit geführten Debatte für eine Seite des Konflikts als die “richtige” entscheiden zu müssen. Das Bewusstsein darüber, dass es gar nicht so einfach sein kann, solche Aussagen zu treffen, kann durch diesen Druck, den sie von der allgemeinen Debattenkultur her verspüren, eventuell nicht richtig ausgebaut werden oder –  falls in Ansätzen bei älteren, reflektierten Schüler:innen schon vorhanden – eingedämmt werden. Schüler:innen berichten darüber hinaus von Belastungen, vor allem die sozialen Medien seien hierbei ein großer Faktor, wie eine Schülerin dem NDR berichtet: “Es ist natürlich belastend, wenn man dem nicht ausweichen kann und auf Social Media Bilder und Videos bekommt, die Verletzte und Tote zeigen, ohne dass man vorher darüber reflektiert hat, ob man das jetzt wirklich sehen möchte”. Die Sorge der Schüler:innen weitet sich mit der weiteren Beschäftigung auch auf verknüpfte Problematiken aus: “Dass der Antisemitismus in Deutschland wieder auflebt [...], finde ich sehr erschreckend”, so ein weiterer Schüler der Klasse.

Welche Lösungsstrategien gibt es bisher? 

Der Krieg in Israel und Gaza stellt Lehrkräfte indes vor neue Herausforderungen. Gerade im schulischen Umfeld, in dem Heranwachsende den Umgang mit genau solchen Thematiken erst erlernen sollten, ist das Bedürfnis nach Information und Einordnung groß. Einige Lehrer:innen versuchen daher, dieser verzwickten Situation zumindest etwas an Mehrwert abzugewinnen: Das aktuelle politische Geschehen rund um Israel und den Gazastreifen kann eine Gelegenheit dafür sein, Schüler:innen einen gesunden Umgang mit Nachrichten näherzubringen. So könnten die Schüler:innen selbst den Verlauf einer global relevanten Situation mitverfolgen und zeitgleich lernen, sich einen Gesamtüberblick über die Situation zu verschaffen und sich ihre Meinung darüber zu bilden. 

Um Schulen und Lehrer:innen bei der thematischen Aufarbeitung zu unterstützen, stellen die Kultusministerien einiger Länder bereits auf die verschiedenen Jahrgangsstufen der weiterführenden Schulen angepasste Unterrichtsmaterialien. Ein  Politik-Leistungskurs in Niedersachsen zeigt im Bericht des NDR, wie diese konkret eingesetzt werden können: Hier bietet der Lehrer in jeder Stunde das feste Format an, die ersten 15 Minuten zur “offenen und faktenbasierten Beschäftigung mit dem aktuellen Geschehen” zu nutzen. Das bietet Gelegenheit zur Sensibilisierung für spezifische Themen, ihre Hintergründe und allen möglichen Verbindungen zu ihnen. Das Schaffen solcher Querverweise durch eigenes Denken und Arbeiten mit aktuellen Nachrichten sei von sehr großem Mehrwert für Schüler:innen. So erlernen sie langsam ein Gefühl für Komplexität und dem differenzierten Umgang damit.

Probleme und Herausforderungen

Weitaus nicht alle Schulen räumen dem Thema jedoch solchen Raum ein. Die Gründe gehen auseinander: Der strikte Zeitplan, der in den Lehrplänen vorgesehen ist, ist dabei wohl einer der häufigsten. Akuter Lehrermangel macht es noch notwendiger, die Stunden, die man für sein Fach hat, auch für Stoffvermittlung und Prüfungsvorbereitung zu nutzen. Das Problem stellt auch der Vorsitzende der GEW Hessen, Thilo Hartmann, fest: “In der schulischen Praxis ist es häufig schwierig, die notwendige Zeit für pädagogische Arbeit aufzubringen, um die verstörenden Nachrichten und Bilder im Kontext einer demokratischen Bildung angemessen aufarbeiten zu können”. Teilweise fühlen sich Lehrkräfte auch  der Thematik nicht gewachsen genug und würden das Besprechen deshalb lieber den Kolleg:innen überlassen, die sich fachlich ohnehin besser auskennen. Uwe Herrmann, der Lehrer des zuvor erwähnten Politik-Leistungskurses, steht dem solidarisch gegenüber: “Ich finde es ist eine Stärke, zu sagen: ‘Mach du das in deinem Unterricht, ich fühle mich [in der Thematik] nicht so sicher’. So helfen wir uns im Lehrerzimmer.”

Daneben ist eine der größten Herausforderungen des Bildungssystems momentan die fachübergreifende Vermittlung des Erkennens von und der richtige Umgang mit Fake-News. Auch wenn Schüler:innen der Begriff im digitalen Zeitalter wohl kaum als etwas Neues erscheint, so braucht es doch eine geeignete leitende Hand, die sie durch die Medienflut leitet, ohne zu filtern oder Meinungen vorzuformen. Bei der ganzen Fülle an Informationen und so viel neuem Werkzeug kann es aus Schüler:innensicht schwer sein, auch noch Nuancen zu erkennen. Auch hierbei können die aufbereiteten Unterrichtsmaterialien vom Kultusministerium eine Hilfe dabei darstellen, große Thematiken umfassend zu erläutern und Fehlinformationen gegenzusteuern.

Auch bei der Verwendung dieser klassenstufenspezifischen Hilfsmaterialien gebe es aber wiederum die Gefahr, dass Schüler aus höheren Jahrgangsstufen beispielsweise Bilder mit verstörendem  Inhalt an Schüler der Unterstufe weiterleiten und diese damit erschrecken. Es bleibt also die allgemeine Dringlichkeit nach möglichst offen gelebter Aufklärung und einem verantwortungsvollen Umgang mit Nachrichten und Medien. 

Eine Zusammenstellung mit hilfreichen Materialien zur Behandlung des Nahostkonflikts im Unterricht findet ihr auch hier bei uns.

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