Warum die Pandemie vielleicht doch nicht Schuld an den schlechten Leistungen deutscher Schüler ist

Von
Marie-Theres Carl
|
10
.
May 2024
|
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Warum die Pandemie vielleicht doch nicht Schuld an den schlechten Leistungen deutscher Schüler ist

Das LIfBi hat untersucht, wie sich Schulschließungen während der Corona-Pandemie auf die mathematischen Kompetenzen von Jugendlichen auswirkten. (Quelle: Unsplash)

Bamberg. Eine aktuelle Studie des Leibniz-Instituts für Bildungsverläufe (LIfBi) hat gezeigt, dass die Corona-Einschränkungen offenbar keinen negativen Effekt auf die Entwicklung der mathematischen Kompetenzen von Neuntklässler:innen hatten. Die Studie vergleicht die Entwicklung der Mathematikkompetenzen Jugendlicher von der 7. bis zur 9. Klasse in zwei verschiedenen Jahrgängen – einer, der die Sekundarstufe während der Pandemie durchlaufen hat, und einem anderen, der die Sekundarstufe ohne Pandemie durchlaufen hat.

Die Ergebnisse der Studie stehen im Kontrast zu den Vermutungen der PISA-Studie und des IQB-Bildungstrends aus dem Jahr 2022, die einen negativen Einfluss der Pandemie auf die mathematischen Fähigkeiten nahelegten. Während der Pandemie wurden Befürchtungen einer lebenslangen Benachteiligung der “Generation Corona” geäußert, und es wurde in zahlreichen Studien beschrieben, dass die Einschränkungen tatsächlich deutliche Auswirkungen auf das Lernen hatten.

Die LIfBi-Studie nutzte die Daten des Nationalen Bildungspanels (NEPS) von 6.048 Jugendlichen, die zwischen 2012 und 2015 bzw. zwischen 2018 und 2021 in der Sekundarstufe verschiedener Schulformen waren. In beiden Jahrgängen wurden mehrmals Kompetenztests durchgeführt, um die Auswirkungen der Schulschließungen auf die mathematische Kompetenzentwicklung in einem deutschlandweiten Vergleich sichtbar zu machen. Die Auswertung der Daten bestätigt die Befunde aus wiederkehrenden Querschnittstudien mit Schüler:innen in der Sekundarstufe in Deutschland nicht. Die Kompetenzzuwächse von der 7. bis zur 9. Klasse fielen in Mathematik bei beiden Alterskohorten nahezu identisch aus. Die Kompetenzen sind in beiden Kohorten im Mittel gleich stark ausgeprägt, unabhängig davon, ob die Jugendlichen Schulschließungen erlebt haben oder nicht.

Bildungswissenschaftlerin Dr. Lena Nusser, die an der Studie mitgewirkt hat, erklärt, dass die Ergebnisse spezifisch auf die mathematischen Kompetenzen abzielen, die im Rahmen des Bildungspanels getestet wurden. In den mathematischen Lehrplänen gäbe es noch andere Aufgabentypen, die relevant sein könnten. Sie weist darauf hin, dass Jugendliche in der Sekundarstufe wahrscheinlich eine stärkere Fähigkeit zum selbstgesteuerten Lernen haben. Daher könnten die Auswirkungen der Pandemie auf die Kompetenzentwicklung bei jüngeren Schüler:innen stärker sein. Nusser stellt klar, dass die aktuellen Ergebnisse keine Aussagen über die Lernentwicklung in anderen Fächern treffen, insbesondere in Fächern, die stärker auf Gesprächen, Interaktionen, Experimenten oder gemeinsamen Aktivitäten basierten. Trotzdem sei das Ergebnis ein Hoffnungsschimmer.

Es gab jedoch auch Kritik an den Ergebnissen. IQB-Direktorin Petra Stanat erkennt die wissenschaftliche Relevanz und Sorgfalt der LIfBi-Analyse an, merkt jedoch an, dass die zugrunde liegenden Daten erhebliche Einschränkungen aufwiesen. Die Vergleiche würden auf einer begrenzten Anzahl von Aufgaben basieren, die betroffene Schülerkohorte wäre später getestet worden als die Vergleichsgruppe. Zudem seien Schüler:innen aus benachteiligten Familien, die besonders von den pandemiebedingten Einschränkungen betroffen waren, unterrepräsentiert. Daher wären die Ergebnisse mit erheblichen Unsicherheiten behaftet.

Der Vorstand des Zentrums für Internationale Vergleichsstudien (ZIB), das die deutsche Beteiligung an PISA koordiniert, äußert sich noch kritischer. Das LIfBi habe eine “interessante” Arbeit vorgelegt hat, um die möglichen Auswirkungen der pandemiebedingten Maßnahmen auf die Kompetenzentwicklung der Schüler:innen genauer zu bestimmen. Jedoch sei die Datenbasis insgesamt für die Überprüfung der gestellten Fragen ungeeignet, unter anderem aufgrund zu weniger Aufgaben und nicht repräsentativer Stichproben.

Artelt entgegnet, dass das LIfBi lange und sorgfältig an den methodischen Grundlagen gearbeitet habe und diese in einem Bericht ausführlich dargestellt. Sie fügt hinzu, dass Rückmeldungen von Fachkolleg:innen eingeholt wurden, um die Angemessenheit des methodischen Vorgehens zu gewährleisten. Man könne somit sicher sagen: “Der Leistungsrückgang im Fach Mathematik in der Sekundarstufe I in Deutschland hat bestimmt viele Gründe, Corona spielt dabei – wenn überhaupt – nur eine sehr geringe Rolle.”

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