“Scheißjob Lehrer?” Neue ARD-Doku liefert eine frustrierende Bestandsaufnahme

Von
Annika Werner
|
16
.
August 2023
|
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“Scheißjob Lehrer?” Neue ARD-Doku liefert eine frustrierende Bestandsaufnahme

Lehrerin Nora Oehmichen unterrichtet Ethik, Geschichte und Französisch (Quelle: ARD)

Ludwigsburg/München/Leipzig. “Scheißjob Lehrer?” Unter dem unmissverständlichen Titel hat das ARD-Format “Rabiat” gestern eine Reportage über die aktuelle Lage an Deutschlands Schulen veröffentlicht. Dabei spricht Rabiat Reporterin Claudia Euen über die derzeitige kritische Situation an den Schulen und was passieren muss, damit alle Lehrkräfte und Schüler:innen die Unterstützung bekommen, die sie brauchen. Hinter der Reportage stecken die Filmemacher “Y-Kollektiv”, die für den Bericht mit Radio Bremen und dem SWR kooperiert haben. 

Nicht nur viele Schüler:innen, sondern auch die Elternteile machen sich Sorgen um die Zukunft ihrer Kinder und fragen sich, ob sie unter Berücksichtigung der vielen Stundenausfälle den Abschluss schaffen werden. Lehrkraft zu sein ist längst kein Traumberuf mehr. Zu den überschaubaren Vorteilen kommen mittlerweile viele Nachteile hinzu. Der große Mangel an Lehrkräften, die viel zu großen Klassen und das steigende Arbeitspensum machen den Beruf immer unattraktiver. Die Folge: Bereits ausgebildete Lehrer:innen kündigen ihren Job und von den Universitäten kommt nicht genügend Nachwuchs, um die Lücken zu schließen. 

“Wir leben in einer Demokratie, aber die Schule ist ein undemokratischer Ort”, sagt Nora Oehmichen, die bereits seit 17 Jahren Lehrerin am Otto-Hahn-Gymnasium in Ludwigsburg ist. Momentan hadert sie mit ihrem Job. Nachdem sie bereits Stunden aufgestockt hat, möchte sie ab nächstem Schuljahr nur noch acht Stunden in der Woche arbeiten, um sich noch mehr auf das bildungspolitische Engagement zu konzentrieren. In der Hoffnung, dass sie sich an einem Sonntagabend wieder auf den Montag in der Schule freuen kann. 

Erst vier Jahre nach der Ankunft in Deutschland, konnte Fidaa Alsilek als Seiteneinsteiger an der Wladimir-Kamorow- Schule in Sachsen-Anhalt unterrichten. In seiner Heimat Syrien unterrichtete er bereits 12 Jahre Englisch an Privatschulen. Um in Deutschland als Lehrkraft anerkannt zu werden, ist es allerdings Voraussetzung, zwei Unterrichtsfächer studiert zu haben. Aus diesem Grund zog sich seine Zulassung über Jahre hin. In Anbetracht des starken Lehrkräftemangels und den vielen unbesetzten Stellen kann das nicht die übliche Vorgehensweise sein. “Man wird für alle Fails des Schulsystems verantwortlich gemacht", sagt Julia Hehl, die mittlerweile ihren Job als Lehrer:in gekündigt hat. Die Schule sei kein angenehmes Arbeitsumfeld mehr, die ständige Erreichbarkeit und das Image als faule Lehrkraft haben Sie diese Entscheidung treffen lassen. 

Auch die Schüler:innen fordern. Für die Abiturient:innen waren die letzten Jahre nicht einfach. Sie klagen über Leistungsdruck und Versagensängste. “Ich habe das Gefühl, dass Interesse und die Eigeninitiative in manchen Fächern einfach systematisch kaputt gemacht werden", sagt Josephine Günther. “Wir müssen mehr auf die zwischenmenschlichen Beziehungen achten", fordert die junge Abiturientin. Zusammen mit weiteren Schüler:innen gründeten sie die Initiative “Die 11 Rebell_innen” mit dem Ziel eines respektvollen Umgangs und einer Kommunikation auf Augenhöhe – sie fordern “Weniger Leistung, mehr Selbstfürsorge und Miteinander.”

Unter dem YouTube-Video der Reportage sind in kürzester Zeit über 700 Kommentare erschienen. Angehende, derzeitige und ehemalige Lehrer:innen tauschen sich über ihre Erfahrungen aus und kritisieren das Schulsystem und die Politik. Auffallend ist: Viele der angehenden Lehrer:innen zweifeln den Aufbau des Studiums beziehungsweise die Inhalte dessen an. Der Fokus liegt viel zu sehr auf dem Fachlichen, anstatt auf dem Menschlichen. Eine Frage, mit der die Dokumentation den Zuschauer zurücklässt, bleibt hängen: Was bringt den Schüler:innen das geballte Fachwissen, wenn es für alle Beteiligten von Seiten der Institutionen an Menschlichkeit fehlt?

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