Wenn Genies im Klassenzimmer sitzen: Hochbegabung im Schulalltag

Von
Vitali Borissov
|
31
.
August 2022
|
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Wenn Genies im Klassenzimmer sitzen: Hochbegabung im Schulalltag

In Deutschland sind zwei Prozent der Menschen hochbegabt. Dies ist der Fall, wenn der IQ (Intelligenzquotient) mindestens 130 beträgt. Zur Erinnerung: Deutsche haben statistisch gesehen im Durchschnitt einen IQ von 100. Ermittelt wird dieser mittels des allseits bekannten IQ-Tests, bei welchem mathematische, bildlich-räumliche und logische Intelligenz abgefragt werden. Angeboten werden diese Tests im Allgemeinen erst ab sechs Jahren. Vor allem Eltern von Kindern, welche Auffälligkeiten hinsichtlich besonderer Begabung zeigen, wird geraten, mit besagtem Kind einen solchen Test zu machen. Wenn eine Hochbegabung festgestellt wird, hat es in der Folge oberste Priorität, das Kind bestmöglich bei seiner Entwicklung zu unterstützen, um das Meiste aus den überdurchschnittlichen Voraussetzungen herauszuholen und das Potential voll auszuschöpfen.

Eine tragende Rolle kommt hierbei unter anderem auch den Lehrkräften zu. Wie haben Lehrer:innen damit umzugehen, wenn ein Genie im Klassenzimmer sitzt? Wie gelingt die Integration Hochbegabter in den normalen Unterricht? 

Wie als Lehrkraft mit hochbegabten Schüler:innen umgehen? 

Von vornherein sind für eine Lehrkraft die Möglichkeiten der individuellen Unterrichtsgestaltung besonders wichtig. Kinder einer Schulklasse sollen unterschiedliche, an ihren Leistungsstand und ihre Bedürfnisse angepasste Lernangebote erhalten. Für Hochbegabte bedeutet diese individuelle Unterrichtsgestaltung nicht bloß einen Mehraufwand. Lehrer:innen orientieren sich an dem einzigartigen Lerntempo der Hochbegabten und offerieren beispielsweise weiterführende Einblicke in eine Thematik, obwohl dies für Durchschnittsschüler:innen nicht vonnöten ist. Maßnahmen zur Begabtenförderung umfassen unter anderem auch sogenanntes “Enrichment”, wobei es sich um eine Anreicherung des Unterrichts handelt. Dies kann geschehen, indem besonders begabte Schüler:innen zu einem bestimmten Thema recherchieren, welches sie dann in Form einer schriftlichen Ausarbeitung oder eines Vortrags vor der Klasse präsentieren. Außerdem können sie als Tutor:innen fungieren. 

Daneben sind andere Möglichkeiten innere Differenzierung (Individualisierung) und äußere Differenzierung (Arbeitsgemeinschaften, zusätzliche Leistungskurse, vorübergehende Teilnahme am Fachunterricht einer höheren Klasse). Denkt man etwas außerhalb der üblichen Rahmenbedingungen, können die Teilnahme an überregionalen Wettbewerben, Schüleraustauschprogramme oder der Einbau von Bilingualität in die Unterrichtsgestaltung für Hochbegabte eine neue qualitative Lernkomponente liefern. Ein weiteres interessantes und innovatives Konzept wäre das Erstellen von altersheterogenen Schulklassen, in denen Kinder je nach Lernfortschritt und Begabung eingeteilt werden, nicht bloß nach Alter. Konzepte wie diese bleiben allerdings fast ausschließlich reines Wunschdenken. 

Probleme von Hochbegabten im Schulalltag 

Die Probleme hochbegabter Kinder in der Schule lassen sich üblicherweise kurz zusammenfassen: Sie passen von Natur aus nicht in den “normalen” Unterricht. Die Klassen in den Schulen werden seit allzu langer Zeit nach dem biologischen Alter zusammengestellt, jedoch vereinen hochbegabte Kinder viele Altersstufen in sich. Die intellektuellen Bedürfnisse der Kinder können denen der Mitschüler:innen weit voraus sein. Das kann schnell dazu führen, dass sie sich langweilen oder beschweren, sie frustriert sind und sich im Unterricht kaum beteiligen, wenn sie ihn nicht gar stören. Hochbegabte können eine nachlässige Haltung gegenüber pünktlicher Abgabe und angemessener Qualität von zum Beispiel Hausaufgaben entwickeln. Des Weiteren kann das hochbegabte Kind eine arrogante Einstellung gegenüber Mitschüler:innen und Lehrer:innen einnehmen.
Bei Hochbegabten handelt es sich demnach nicht immer nur um Vorzeigekinder. Schnell wird aus dem Wunderkind ein Problemkind. Denn die Begabung bringt auch eine Belastung mit sich, welche Außenstehende kaum fassen können. Statistisch gesehen fällt die Wahrscheinlichkeit an einer emotionalen Störung wie einer Depression oder an sozialem Rückzug zu leiden, bei hochbegabten Menschen um einiges höher aus. Einige Hochbegabte werden demnach von den Herausforderungen ihrer Begabung regelrecht erschlagen. 

Schlaue Köpfe mit schlechten Noten 

15 Prozent der begabten und hochbegabten Kindern sind von dem Phänomen des “Underachieving” betroffen. In der Psychologie und Pädagogik spricht man hiervon, wenn Begabte und Hochbegabte unter ihren Möglichkeiten bleiben, wenn also zwischen den intellektuellen Kapazitäten und den schulischen Leistungen eine deutliche Diskrepanz besteht. Man nennt es auch eine “erwartungswidrige Minderleistung”. Laut Bildungsministerium für Bildung und Forschung (BMBF) sind rund zwei Drittel der Betroffenen Jungen. 

Die Psychologie spricht beim “Underachieving” von einem individuellen Phänomen, dessen Gründe sehr unterschiedlich ausfallen können. Psychische sowie psychosomatische und körperliche Erkrankungen können eine Rolle spielen. Bei ausbleibender Diagnostik kann möglicherweise eine Hochbegabung weder vom Elternhaus noch von den Lehrkräften erkannt und das Kind nicht hinreichend gefördert werden. Verhaltensabweichungen von der Norm, zum Beispiel hinsichtlich des Lernens oder der Bearbeitung von Aufgaben, werden teilweise als falsch und nicht als kreativ und klug wahrgenommen. Es handelt sich prinzipiell beim Unterrichtsgeschehen um didaktische Konzepte, die sichtlich nicht auf Hochbegabte zugeschnitten sind. In einer heterogenen Schulklasse kann nur geringfügig auf die besonderen Bedürfnisse der Kinder mit einer überdurchschnittlichen Intelligenz (besondere Begabung: IQ ≥ 115) oder einer Hochbegabung (IQ ≥ 130) eingegangen werden. Tatsächlich erfahren hochbegabte Kinder daher häufig eine Frustration hinsichtlich ihrer Lernbedürfnisse sowie damit einhergehende Motivationseinbrüche. Die ständige Unterforderung führt zu den im vorherigen Absatz genannten Mechanismen der Introvertiertheit und Abkapselungen und/oder zu Auffälligkeiten wie Störungen des Unterrichts und Rebellieren. 

Die richtige Förderung von Hochbegabten

Im frühen Alter sind außerschulische Fördermaßnahmen für Hochbegabte, zumeist eingetragene Vereine (e.V.) eine angemessene Anlaufstelle. Voraussetzung für die Teilnahme an den Lernangeboten ist ein sichtlich nach oben ausschlagender IQ-Test. Ein förderliches Familienumfeld spielt wohl die größte Rolle. Lehrer:innen, denen ein Kind auffällt, sollten sich nicht scheuen, sich zu erkundigen, inwieweit das Elternhaus von einer besonderen Begabung weißund inwieweit das Kind auch zuhause gefördert wird. Ein anderer Ansatz sind Privatschulen mit besonderen pädagogischen Schwerpunkten für Hochbegabte. Die Deutsche Gesellschaft für das hochbegabte Kind e.V. (DGhK) informiert über Hintergründe zur Hochbegabung sowie über regionale und überregionale Beratungsmöglichkeiten.

Für Lehrer:innen gibt es neben allerlei passenden Weiterbildungsmöglichkeiten der jeweiligen Landesinstitute, das Diplom “Specialist in Gifted Education” des Internationalen Centrums für Begabungsforschung Münster (ICBF). Hiermit kann man sich speziell für den Umgang mit hochbegabten Kindern ausbilden lassen. Das Studium liefert zum einen Hintergrundwissen zu den Themen Intelligenz, Motivation, Kreativität und individuelle Förderung und führt Lehrkräfte zum anderen praktisch in die optimale Begleitung von Hochbegabten ein. Ein weiterer Fokus liegt auf der Diagnostik von Hochbegabung. 

Alles in allem ist die optimale Vorgehensweise abhängig vom begabten Individuum selbst. Manche Methoden werfen mehr Früchte ab als andere. Offene Kommunikation über Interessengebiete und Vorlieben – sei es als Lehrer:in oder Elternteil – sind bereits im jungen Alter überaus wichtig. Hierdurch kriegen die Erwachsenen das nötige Feedback, um die Lernmotivation weiterhin (bestenfalls bis ins hohe Alter) aufrecht zu erhalten.
Habt ihr ein Kind im Klassenzimmer, welches das Leistungsvermögen der Mitschüler:innen weit überragt? Oder eines, welches gerade wegen der intellektuellen Kapazitäten kein Interesse am Unterricht zeigt? Vielleicht lohnt sich in diesen Fällen ein Gespräch mit den Eltern, um herauszufinden, inwiefern und vor allem ob ein solches Kind hochbegabt ist. Immerhin sind es zwei Prozent aller Menschen in Deutschland. 

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